Lohengrin

Wagner Inside

Um die Entstehung des Lohengrin im Erleben Richard Wagners nachvollziehen zu können, erscheint es angeraten, mit einem kurzen Rückblick zu beginnen.

Wagner befand sich ja zur Kur in Mariabrunn und es wurde ihm von seinem behandelnden Arzt angeraten, jegliche künstlerische Tätigkeit zu unterlassen, um das Ziel der Kur nicht zu gefährden. Das versuchte Wagner auch einzuhalten. Er las ja nur „beiläufig“ Bücher, u.a. über Parzival und Lohengrin und so kam es zu einem schöpferischen Stau. Er konnte sich in der Folge nicht mehr bremsen und entwarf zuerst die „Meistersinger“ und gleich anschließend „Lohengrin“.

Die Meistersinger haben eine heitere Grundstimmung, genau wie das Wesen Wagners, bei ihm jedoch nur als äußere Eigenschaft. Der Kern Wagners war durchaus tragisch.

In den Meistersingern äußert sich die Heiterkeit – genau betrachtet – jedoch als Ironie. Das deutsche Spießertum wird auf die Schippe genommen und Sachs macht sich gewissermaßen darüber lustig.

Diese „ironische Heiterkeit“ konnte Wagner nicht lange durchhalten, aber es war gewissermaßen die letzte Abrechnung mit der ihn umgebenden Engstirnigkeit im weitesten Sinne. Sein wahrer Kern brach wieder durch und er entbrannte mit wahrer Leidenschaft für das Lohengrin – Thema. Er beschreibt es selbst:

Meine Natur reagierte in mir augenblicklich gegen den unvollkommenen Versuch, durch Ironie mich des Inhaltes der Kraft meines Heiterkeitstriebes zu entäußern, und ich muss diesen Versuch jetzt selbst als die letzte Äußerung des genußsüchtigen Verlangens betrachten, das mit einer Umgebung oder Trivialität sich aussöhnen wollte, und dem ich im „Tannhäuser“ bereits mit schmerzlicher Energie mich entwunden hatte.

Wagner hatte ja den „Tannhäuser“ vor Beginn der Kur vollendet und musste feststellen, dass keine Aussicht bestand, dass dieser jemals Verbreitung auf den dt. Bühnen finden konnte. Er war bis zum König von Preußen gegangen und wollte ihm sein Werk widmen. Als Antwort erhielt er jedoch: der König höre nur ihm bekannte Stücke und es wäre das Beste, einen Auszug aus seiner Oper für Militärmusik zu arrangieren, damit es dem König bei einer Wachparade auf diese Weise bekannt gemacht werden könne. Wagner fühlte, dass er nicht mehr tiefer sinken konnte und er fand sich in einer großen Einsamkeit wieder. Er schreibt:

Ich war mir jetzt meiner vollsten Einsamkeit als künstlerischer Mensch in einer Weise bewusst geworden, dass ich zunächst einzig aus dem Gefühle dieser Einsamkeit wiederum die Anregung und das Vermögen zur Mitteilung an meine Umgebung schöpfen konnte. Da sich diese Anregung und dieses Vermögen so kräftig in mir kundgaben, dass ich, selbst ohne alle bewusste Aussicht auf Ermöglichung einer verständlichen Mitteilung, mich dennoch eben jetzt auf das Leidenschaftlichste zur Mitteilung gedrängt fühlte, so konnte dies nur aus einer schwärmerisch sehnsüchtigen Stimmung hervorgehen, wie sie aus dem Gefühle jener Einsamkeit entstand. – Im „Tannhäuser“ hatte ich mich aus einer frivolen, mich anwidernden Sinnlichkeit – dem einzigen Ausdrucke der Sinnlichkeit der modernen Gegenwart – herausgesehnt; mein Drang ging nach dem unbekannten Reinen, Keuschen, Jungfräulichen, als dem Elemente der Befriedigung für ein edleres, im Grunde dennoch aber sinnliches Verlangen, nur ein Verlangen, wie es eben die frivole Gegenwart nicht befriedigen konnte. Auf die ersehnte Höhe des Reinen, Keuschen, hatte ich mich durch die Kraft meines Verlangens nun geschwungen: ich fühlte mich außerhalb der modernen Welt in einem klaren heiligen Ätherelemente, das mich in der Verzückung meines Einsamkeitsgefühls mit den wollüstigen Schauern erfüllte, die wir auf der Spitze der hohen Alpe empfinden, wenn wir, vom blaue Luftmeer umgeben, hinab auf die Gebirge und Täler blicken. Solche Spitzen erklimmt der Denker, um auf dieser Höhe sich frei, „geläutert“ von allem „Irdischen“, somit als höchste Summe der menschlichen Potenz zu wähnen: er vermag hier endlich sich selbst zu genießen, und bei diesem Selbstgenusse, unter der Einwirkung der kälteren Atmosphäre der Alpenhöhe, endlich selbst zum monumentalen Eisgebilde zu erstarren, als welches er , als Philosoph und Kritiker, mit frostigem Selbstbehagen die warme Welt der lebendigen Erscheinungen unter sich betrachtet.

Auf dieser Höhe „begegnete“ Wagner dem Gralsritter Lohengrin, der sich, erhaben über die Welt und in zurückgezogener Keuschheit nun wieder nach der wärmenden Liebe eines Weibes sehnt. – Hören wir weiter:

Die Sehnsucht, die mich aber auf jene Höhe getrieben, war eine künstlerische, sinnlich menschliche gewesen: nicht der Wärme des Lebens wollte ich entfliehen, sondern der morastigen, brodelnden Schwüle der trivialen Sinnlichkeit eines bestimmten Lebens, des Lebens der modernen Gegenwart. Mich wärmte auch auf jener Höhe der Sonnenstrahl der Liebe, deren wahrhaftiger Drang mich einzig aufwärts getrieben hatte. Gerade diese selige Einsamkeit erweckte mir, da sie kaum mich umfing, eine neue, unsäglich bewältigende Sehnsucht, die Sehnsucht aus der Höhe nach der Tiefe, aus dem sonnigen Glanze der keuschesten Reine nach dem trauten Schatten der menschlichen Liebesumarmung. Von dieser Höhe gewahrte mein verlangender Blick – das Weib: das Weib, nach dem sich der Fliegende Holländer aus der Meerestiefe seines Elends aufsehnte; das Weib, das dem Tannhäuser aus den Wollusthöhlen des Venusberges als Himmelsstern den Weg nach oben wies, und das nun aus sonniger Höhe Lohengrin hinab an die wärmende Brust der Erde zog. –

Wir können hier erkennen, dass Wagner sich mit dem Helden der Geschichte voll identifizierte. Keiner verstand ihn wirklich, er war umgeben von einer pfadlosen Wildnis und die Kälte der Einsamkeit nagte an seinem Herzen. Er sehnte sich nach wirklicher Liebe – nach der Liebe eines Weibes! – Die Beziehung mit seiner Frau Minna war eher oberflächlicher Natur, sie konnte ihm nicht in seine sehnsuchtsvollen Regionen folgen.

Und so befand er sich mit seinem Lohengrin in einem gemeinsamen, sehnsüchtig verlangendem Kosmos, beide sich nach einem Weibe sehnend:

Lohengrin suchte das Weib, das an ihn glaubte: das nicht früge, wer er sei und woher er komme, sondern ihn liebte, wie er sei und weil er so sei, wie er ihm erschiene. Er suchte das Weib, dem er sich nicht zu erklären, nicht zu rechtfertigen habe, sondern das ihn unbedingt liebe. Er musste deshalb seine höhere Natur verbergen, denn gerade eben in der Nichtaufdeckung, in der Nichtoffenbarung dieses höheren – aber richtiger gesagt: erhöhten – Wesens konnte ihm die einzige Gewähr liegen, dass er nicht um dieses Wesens willen nur bewundert und angestaunt, oder ihm – als einem Unverstandenen – anbetungsvoll demütig gehuldigt würde, wo es ihn eben nicht nach Bewunderung und Anbetung, sondern nach dem einzigen, was ihn aus seiner Einsamkeit erlösen, seine Sehnsucht stillen konnte, – nach Liebe, nach Geliebtsein, nach Verstandensein durch die Liebe, verlangte.

Mit seinem höchsten Sinnen, mit seinem wissendsten Bewusstsein, wollte er nichts andres werden und sein, als voller, ganzer, warmempfindender und warmempfundener Mensch, also überhaupt Mensch, nicht Gott, d. h. absoluter Künstler. So ersehnte er sich das Weib, – das menschliche Herz. Und so stieg er herab aus seiner wonnig öden Einsamkeit, als er den Hilferuf dieses Weibes, dieses Herzens, mitten aus der Menschheit da unten vernahm. Aber an ihm haftete unabstreitbar der verräterische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Gemeinheit, das Geifern des Neides, wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes; Zweifel und Eifersucht bezeugen ihm, dass er nicht verstanden, sondern nur angebetet wurde, und entreißen ihm das Geständnis seiner Göttlichkeit, mit dem er vernichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt.

Wagner konnte nicht verstehen, wie diese für ihn durch und durch schlüssige Auslegung der Sage von Lohengrin selbst für seine engsten Freunde und Zuhörer nicht nachempfunden werden konnte, ja nicht einmal nachzuvollziehen war. Die Geister schieden sich an der Entscheidung Lohengrins, nach dem Verrat Elsas wieder von ihr zu ziehen. Der Tenor war: Lohengrin sei eine kalte, verletzende Erscheinung, die eher Widerwillen, als Sympathie zu erwecken vermöge. Verblüffenderweise stellte Wagner fest:

machte ich jedoch zunächst eine Erfahrung, die in der Folge sich mir wiederholt hat, nämlich die, dass beim unmittelbaren Bekanntwerden mit meiner Dichtung nichts andres als ein durchaus ergreifender Eindruck des Kunstwerkes sich kundtat, und jener Einwurf sich erst dann einfand, wenn der Eindruck des Kunstwerkes sich verwischte, und der kälteren, reflektierenden Kritik Platz machte. Somit war dieser Einwurf nicht ein unwillkürlicher Akt der unmittelbaren Herzensempfindung, sondern ein willkürlicher der vermittelten Verstandestätigkeit.

Wie will sich das erklären lassen? Der Zuschauer wird bei der unmittelbaren Aufnahme des Werkes in einen wohltuenden, harmonischen, erhobenen Zustand versetzt und nach der Rückkehr zu seinen Alltäglichkeiten tritt allmählich eine Relativierung ein, die das Gesamterlebnis nach und nach verwischt und kritischen Gedanken Platz macht!

Wie jeder sicher nachvollziehen kann, ob nun verstanden oder unverstanden, richtet sich ein Künstler nicht an die verstandliche Instanz im Menschen. Ein Künstler hat einen besonderen Zugang zu einer den meisten Menschen verborgenen Realität. Diese Realität ist nur erreichbar durch über unsere fünf Sinne hinausgehende Vermögen. Es sind Intuition und Inspiration, die, wenn sie am erwachen sind, hier die Kluft überbrücken helfen.

Dem Künstler, und im hohen Grade Richard Wagner, ist der analytische Verstand eher ein „Schlächter der Seele“ bei seiner schöpferischen Tätigkeit.

Wagner hat sich jedoch ernsthaft mit den Einwürfen seiner Freunde auseinandergesetzt.

mit größter Frische habe ich mich wieder darüber hergemacht, und bin nun mit mir im Reinen: ich habe mein Gedicht nach einiger Unterbrechung, soviel dies möglich ist, als unbefangener Fremder angesehen, und seine poetische Absicht spricht sich mir so aus: Die Sühne für Elsa’s Vergehen kann nur in ihrer Bestrafung liegen, und selten kann ein Vergehen eine consequentere und somit unerläßlichere Strafe nach sich ziehen, als sie hier in der Trennung ausgesprochen ist: keine Züchtigung, kein Tod (unmittelbar) kann ihre Strafe sein, – jede andere Strafweise wäre Willkür und müßte empören, nur – die allerdings härteste – die Strafe der Trennung erscheint als die unerläßlichste, und sie kann nicht zu hart erscheinen, weil sie die gerechteste, die folgerichtigste ist. Elsa hat Lohengrin verwirkt, ihr Vereinigtbleiben ist unmöglich, denn als Elsa die Frage an ihn richtet, sind Beide bereits geschieden …

Nachdem Wagner mit dem Sagenstoff bekannt wurde, sich umfassend darüber belesen hatte, wurde in ihm durch einen künstlerisch-alchymischen Prozess der Sagenstoff geläutert und es destillierte sich das Ursprüngliche der Sage heraus. Durch Stille und In-sich-gekehrt-sein war es jetzt möglich, dieses Destillat zur neuen Entfaltung zu bringen.

Dies ist, nebenbei, das Vorgehen der göttlichen Vorsehung, Impulse aus einer vergangenen Zeit von allen zeitlich bedingten Anhaftungen zu befreien und einer von den fortschreitenden Zeitläufen veränderten Menschheit wieder an die Hand zu geben.

Der Mensch, der für eine solche Aufgabe ausersehen ist, muss natürlich Eigenschaften besitzen, die die Erfüllung auch ermöglichen können. Will die Seele etwas Höheres empfangen, von etwas Höherem geleitet werden, muß sie von den niederen Anhaftungen möglichst frei sein. Ruhm, Ehre, Macht und Reichtum waren kein wirkliches Lebenskriterium von Wagner. Es sind die vier astralen Haupteigenschaften, die dem Dienen an einer höheren Sache entgegenstehen. Daraus resultiert eine seelische Einsamkeit, die das Hervortreten einer höheren Aufgabe ermöglicht. Der Welt nach abgestorben, kann alle verfügbare Energie jetzt der einen Berufung unterstellt werden.

Ich konnte mir sagen, daß meine Einsamkeit nicht eine egoistisch von mir aufgesuchte, sondern lediglich von der Öde weit um mich herum mir ganz von selbst geoffenbarte sei. Nur ein widerlich fesselndes Band hielt mich noch an unsere öffentlichen Kunstzustände fest, – die Verpflichtung, auf möglichen Gewinn aus meinen Arbeiten bedacht zu sein, um meiner äußeren Lage aufzuhelfen. So hatte ich noch immer für äußeren Erfolg zu sorgen, trotzdem ich diesem für mich und mein inneres Bedürfnis bereits gänzlich entsagt hatte.

Wagner war unablässig am Wirken, nicht nur am künstlerischen Schaffen, auch die damit zusammenhängenden Felder mussten bewirtschaftet werden. Eine Welt, die nichts wirklich verstand von dem, was in ihm lebte, musste zugänglich gemacht werden. Seine künstlerische Botschaft musste fassbar vor den Menschen stehen … Weitere Ausführungen dazu würden das Thema dieses Aufsatzes sprengen, es soll an anderer Stelle zur Sprache kommen.

Wagner fühlte sich also durch das Unverständnis der sich interessierenden Außenwelt gedrängt, in sich noch einmal nachzuforschen, ob er mit dem Ausgang seines „Lohengrin“ auch wirklich im Reinen war.

die Trennung, die Idee der Trennung erschien mir von Anfang her beim ersten Bekanntwerden mit dem Stoffe als das Eigenthümliche, besonders Bezeichnende desselben, und nachdem ich jede andere Möglichkeit einer Lösung durchlaufen habe, komme ich immer deutlicher wieder auf diese Trennung zurück, …

Was hat es denn mit dieser absoluten, kompromisslosen Trennung auf sich? Wagner sagt dazu:

Als Symbol der Fabel kann ich nur festhalten: die Berührung einer übersinnlichen Erscheinung mit der menschlichen Natur und die Unmöglichkeit einer Dauer derselben.

Und als Fazit läßt er folgen:

Die Lehre würde sein: der liebe Gott (ich meine: der Christengott) thäte klüger, uns mit Offenbarungen zu verschonen, da er doch die Gesetze der Natur nicht lösen darf: die Natur, hier die menschliche Natur, muss sich rächen und die Offenbarung zunichte machen. Dies scheint mir der Sinn der meisten jener wundervollen Sagen, die nicht von Pfaffen gemacht worden sind.

Auf Erden findet ein Kampf statt, ein Ringen um die Seele des Menschen. Das ist nicht nur religiöse Angstmacherei, sondern die Erkenntnis eines jeden nach Gott suchenden Menschen. Zwei große Kräfte ringen in der Seele um Vorherrschaft, Licht und Finsternis (oder Jesus und Luzifer). Es sind hier nicht die Zwillingskräfte der Natur gemeint, die in einem stetigen Wechsel versuchen, das Gleichgewicht in der Welt zu bewahren. Diese halten nur ein Offenbarungsfeld instand, damit die gefallenen Seelen einen Ausgangspunkt zur Rückkehr haben. Eingeschlossen sind beide in das sie umringende Lichtfeld des Vaters. Die Rückkehr in das Vaterfeld kann dann nur in der Kraft des Geistes erfolgen. Die Seele ist in ihrer Gefangenschaft völlig ohnmächtig – da sie den Geist entbehren muss, ist sie nur zu irdischen Dingen fähig. Helfen kann nur eine Handreichung aus dem ehemaligen Wohngebiet der Seele. Gnade und Demut sind die Schlüssel dorthin und ein demütiges Wesen kann nur in der harten Erfahrungsschule der Zwillingskräfte erstehen.

Erkennte der Mensch seinen wahren, ärmlichen Zustand, käme er nicht umhin, wie Wagner zu erkennen, dass eine dauerhafte Verbindung mit göttlich-geistigen Kräften in diesem Zustand nicht bewerkstelligt werden könnte.

Daraus aber die Schlußfolgerung zu ziehen, „… Gott thäte klüger, uns mit seinen Offenbarungen zu verschonen … „, ist uns Menschen, die nach der Jahrtausendwende aus einer veränderten Atmosphäre leben, nicht mehr haltbar. Der göttliche Befreiungsplan für die Seelen, den Wagner als einer der Vorbereiter schon erfühlte, hat sich in den vergangenen 150 Jahren zu einer drängenden Notwendigkeit herangebildet. Zwei Gruppen sind entstanden: die einen sind sehend blind und hörend taub und werden so in dem Kreislauf der Welt verbleiben und die andere Gruppe versucht, in der rechten Weise zu reagieren. Letztere Gruppe fühlt die Notwendigkeit der Reaktion auf einen höheren Plan mit jeder Faser. Nicht zurückblicken, nur vorwärts ist ihre Signatur! Die versunkene Seele ist erwacht und sucht nach der ihr entsprechenden Vibration.

Richard Wagner versuchte nun, den inneren Zwiespalt, der durch das Unverständnis seiner Freunde entstand, aufzulösen, indem er erwog, sein Gedicht zu ändern:

Ich gestehe, dass mich der Geist der zweifelsüchtigen Kritik selbst soweit ansteckte, eine gewaltsame Motivierung und Abänderung meines Gedichtes ernstlich in Angriff zu nehmen. Durch meine Teilnahme an dieser Kritik war ich für kurze Zeit so sehr aus dem richtigen Verhältnisse zu dem Gedichte geraten, dass ich wirklich bis dahin abirrte, eine veränderte Lösung zu entwerfen, nach welcher es Lohengrin verstattet sein sollte, seiner enthüllten höheren Natur sich zugunsten seines weiteren Verweilens bei Elsa zu begeben. Das vollständig Ungenügende, und in einem höchsten Sinne Naturwidrige dieser Lösung, empfand aber nicht nur ich selbst, der ich in einer Entfremdung meines Wesens sie entwarf, sondern auch mein kritischer Freund.

Wagner erkannte, dass den Lohengrin-Stoff nur jemand würdigen konnte, der frei von den Banden der Natur sei:

Den Lohengrin verstehen konnte somit nur derjenige, der sich von aller modernen abstrahierenden, generalisierenden Anschauungsform für die Erscheinungen des unmittelbaren Lebens freizumachen vermochte.

Er erkannte, dass er nur von einem „Gefühlsmenschen“ wirklich verstanden werden konnte:

Wem am „Lohengrin“ nichts weiter begreiflich erscheint, als die Kategorie „Christlich-romantisch – der begreife eben nur eine zufällige Äußerlichkeit, nicht aber das Wesen seiner Erscheinung. Dieses Wesen, als das Wesen einer in Wahrheit neuen, noch nicht dagewesenen Erscheinung, begreift nur dasjenige Vermögen des Menschen, durch das ihm überhaupt erst jede Nahrung für den kategorisierenden Verstand zugeführt wird, und dies ist das reine sinnliche Gefühlsvermögen. Nur das in seiner sinnlichen Erscheinung vollständig sich darstellende Kunstwerk führt den neuen Stoff aber jenem Gefühlsvermögen mit der notwendigen Eindringlichkeit zu; und nur wer dies Kunstwerk in dieser vollständigen Erscheinung empfangen hat, also nur der nach seinem höchsten Empfängnisvermögen vollkommen befriedigte Gefühlsmensch, vermag auch den neuen Stoff vollkommen zu begreifen.

Ein offenes Herz ist also Voraussetzung für eine rechte Aufnahme des Sagenstoffes! Tiefer betrachtend ist es die versunkene Seele, die im Herzen anwesend ist. Es ist also nicht bloß eine Gefühlsempfindung, sondern das Verstehen ist eine Erinnerung, die aufsteigt, die erweckt wird durch den Kraftstrom des Lohengrin-Mythos. So wird auch erklärlich, dass der eigentlich regierende Verstand bald wieder die Oberhand gewinnt, denn die Kraft des Mythos ist wie Nahrung für die Seele, und ist die Nahrung verbraucht, nimmt das alte Wesen seinen Platz wieder ein.

Wagner war hier an einem Punkt angelangt, der ihn als Künstler und Mensch tief beeinflusste:

Hier nun treffe ich auf den Hauptpunkt des Tragischen in der Situation des wahren Künstlers zum Leben der Gegenwart, eben derselben Situation, die im Stoffe des „Lohengrin“ von mir ihre künstlerische Gestaltung erhielt: – das notwendigste und natürlichste Verlangen dieses Künstlers ist, durch das Gefühl rückhaltlos aufgenommen und verstanden zu werden; und die – durch das moderne Kunstleben bedingte – Unmöglichkeit, dieses Gefühl in der Unbefangenheit und zweifellosen Bestimmtheit anzutreffen, als er es für sein Verstandenwerden bedarf, – der Zwang, statt an das Gefühl sich fast einzig nur an den kritischen Verstand mitteilen zu dürfen, – dies eben ist zunächst das Tragische seiner Situation, das ich als künstlerischer Mensch empfinden mußte, und das mir auf dem Wege meiner weiteren Entwicklung so zum Bewusstsein kommen sollte, dass ich endlich in offene Empörung gegen den Druck dieser Situation ausbrach. –

Richard Wagner war mit jeder Faser seiner Lebensaufgabe untertan und musste erkennen, dass ihm – gefühlt – die ganze Welt entgegenstand. Und dieser Zustand fühlte sich für ihn genauso an, wie die Trennung Lohengrins von Elsa. Diese tiefempfundene Resonanz öffnete alle Pforten für die Entstehung dieses Meisterwerkes.

Ihm wurde allmählich klar, wie die „Welt“ seinen Helden aufgenommen hatte:

Es ward meiner Empfindung klar, dass ein wesentlicher Grund zum Mißverständnis der tragischen Bedeutung meines Helden in der Annahme gelegen hatte, Lohengrin steige aus einem glänzenden Reiche leidenlos unerworbener, kalter Herrlichkeit herab, und um dieser Herrlichkeit und der Nichtverletzung eines unnatürlichen Gesetzes willen, das ihn willenlos an jene Herrlichkeit bände, kehrte er dem Konflikte der irdischen Leidenschaften den Rücken, um sich seiner Gottheit wieder zu erfreuen.

Dieses Verständnis des Helden läßt natürlich, wie weiter oben schon erwähnt, nur den Schluß zu: Lohengrin handle aus einer gewissen Herzenskälte heraus. Da er die Leidenschaften des irdischen Lebens nicht akzeptieren kann, zieht er sich, wenn es „zu brenzlich“ wird, zurück in seine vermeintliche Herrlichkeit. Eine Herrlichkeit, die der irdische Betrachter nicht als die seine erkennen kann.

Wagner war bestrebt, sein innerstes Verständnis so deutlich als möglich in dem Werk mitzuteilen. Auf diesem Weg erkannte er auch seine handelnden Personen immer besser und tiefer.

Erst bei diesem Deutlichkeitsstreben in der Ausführung entsinne ich mich, das Wesen des weiblichen Herzens, wie ich es in der liebenden Elsa darzustellen hatte, mit immer größerer Bestimmtheit erfasst zu haben. Der Künstler kann nur dann zur Fähigkeit überzeugender Darstellung gelangen, wenn er mit vollster Sympathie in das Wesen des Darzustellenden sich zu versetzen vermag. In „Elsa“ ersah ich von Anfang herein den von mir ersehnten Gegensatz Lohengrins, – natürlich jedoch nicht den diesem Wesen fern abliegenden, absoluten Gegensatz, sondern vielmehr das andere Teil seines eigenen Wesens, – den Gegensatz, der in seiner Natur überhaupt mit enthalten und nur die notwendig von ihm zu ersehnende Ergänzung seines männlichen, besonderen Wesens ist. Elsa ist das Unbewußte, Unwillkürliche, in welchem das bewußte, willkürliche Wesen Lohengrins sich zu erlösen sehnt; dieses Verlangen ist aber selbst wiederum das unbewußte Notwendige, Unwillkürliche im Lohengrin, durch das er dem Wesen Elsas sich verwandt fühlt. Durch das Vermögen dieses „unbewußten Bewußtseins“, wie ich es selbst mit Lohengrin empfand, kam mir auch die weibliche Natur – und zwar gerade, als es mich zur treuesten Darstellung ihres Wesens drängte – zu immer innigerem Verständnisse. Es gelang mir, mich durch dieses Vermögen so vollständig in dieses weibliche Wesen zu versetzen, dass ich zu gänzlichem Einverständnisse mit der Äußerung desselben in meiner liebenden Elsa kam. Ich mußte sie so berechtigt finden in dem endlichen Ausbruche ihrer Eifersucht, daß ich das rein menschliche Wesen der Liebe gerade in diesem Ausbruche erst ganz verstehen lernte; und ich litt wirklichen, tiefen, – oft in heißen Tränen mir entströmenden – Jammer, als ich unabweislich die tragische Notwendigkeit der Trennung, der Vernichtung der beiden Liebenden empfand. Dieses Weib, daß sich mit hellem Wissen in ihre Vernichtung stürzt um des notwendigen Wesens der Liebe willen, – das, wo es mit schwelgerischer Anbetung empfindet, ganz auch untergehen will, wenn es nicht ganz den Geliebten umfassen kann; dieses Weib, das in ihrer Berührung gerade mit Lohengrin untergehen mußte, um auch diesen der Vernichtung preiszugeben; dieses so und nicht anders lieben könnende Weib, das gerade durch den Ausbruch ihrer Eifersucht erst aus der entzückten Anbetung in das volle Wesen der Liebe gerät, und dies Wesen dem hier noch Unverständnisvollen an ihrem Untergange offenbart; dieses herrliche Weib, vor dem Lohengrin noch entschwinden mußte, weil er es aus seiner besonderen Natur nicht verstehen konnte – ich hatte es jetzt entdeckt: und der verlorene Pfeil, den ich nach dem geahnten, noch nicht aber gewußten, edlen Funde abschoß, war eben mein Lohengrin, den ich verloren geben mußte, um mit Sicherheit dem wahrhaft Weiblichen auf die Spur zu kommen, das mir und aller Welt die Erlösung bringen soll, nachdem der männliche Egoismus, selbst in seiner edelsten Gestaltung, sich selbstvernichtend vor ihm gebrochen hat, – Elsa, das Weib, – das bisher von mir unverstandene und nun verstandene Weib, – diese notwendigste Wesenäußerung der reinsten sinnlichen Unwillkür, – hat mich zum vollständigen Revolutionär gemacht. Sie war der Geist des Volkes, nach dem ich auch als künstlerischer Mensch zu meiner Erlösung verlangte.

Dies etwas längere Zitat verdeutlicht noch einmal auf beeindruckende Weise das Ringen in Wagner um ein vollständiges Verständnis und Einswerden mit dem Lohengrin-Mythos. Die Sage ist nicht bloß wieder aufbereitet, sie ist im wahrsten Sinne neugeboren und mit der Kraft geladen, die die Menschheit in ihrem aktuellen Stadium benötigt, um sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe zu besinnen und zu erfüllen, nämlich den Gott in sich zu befreien.

So wie die Masse der Menschen vor ca. 175 Jahren nichts wirklich mit dem Mysteriendrama „Lohengrin“ anfangen konnte, so wie eine relativ kleine Gruppe unbewußt spürte, dass hier etwas Großes und Bedeutendes entstanden war, ist heute eine wesentlich größere Anzahl von Menschen in der Lage, den Kern der Sage zu verstehen und als notwendigen Schritt anzunehmen. Auch wenn Viele heutzutage noch nie etwas mit diesem Mythos zu tun hatten, ist es bei dem erwachenden Teil der Menschheit doch präsent, dass der Gott im Herzen wohnt und mit vernehmbarer Stimme ruft. Allein die Kenntnis, was zu tun ist, ermangelt oft noch. Hier tritt an uns der nie versiegende Klageruf heran: „Mein Volk geht verloren, weil es keine Kenntnis hat!“