Max Heindl

Lohengrin - Der Schwanenritter

Unter den vielen Opern von Wagner ist vielleicht keine andere so allgemein beliebt wie Lohengrin. Das ist wahrscheinlich der Fall, weil die Erzählung bei oberflächlicher Betrachtung so sehr einfach und schön erscheint. Die Musik ist von auserlesenem Wohlklang, und ähnelt nicht der Musik von anderen Opern des Komponisten, die auf Mythen gegründet sind, wie Parzival, der Ring des Nibelungen, ja selbst Tann­häuser.
Obgleich die letztgenannten Werke die Menschen ihres geistigen Gehaltes wegen mächtig ergreifen (ob sie sich dieses Gehaltes bewusst sind oder nicht), so sind sie in Amerika, wo der Sinn für Mystisches nicht so rege ist wie in Europa, bei der Menge nicht beliebt.
Anders ist es mit Lohengrin. Hier werden wir in eine Zeit versetzt, in der das Rittertum in voller Blüte stand. Das symbolische Bild, die Ankunft von Lohengrin und dem Schwan als Antwort auf das Ge­bet Elsas, ist nur dem uneingeweihten Zuschauer ein hübscher poetischer Einfall ohne tiefere Bedeutung. In dieser Mythe wird eine der höchsten Erfordernisse für die Initiation offenbart — Glaube. Wer diese Kraft nicht besitzt, wird nie das Ziel erreichen; ihr Besitz jedoch ist imstande, viele Fehler umzuwandeln.
Der Gang an Hand einer Erzählung ist kurz folgender: Der Erbe des Herzogs von Brabant ist ver­schwunden. Er ist noch ein Kind und der Bruder von Elsa, der Heldin des Spiels, die in der Eingangs­szene von Ortrud und Telramund, ihren Feinden, an­geklagt ist, diesen jungen Bruder beseitigt zu haben, um selbst in Besitz des Herzogtums zu gelangen. Auf diese Anklage hin ist sie vor den königlichen Gerichtshof befohlen, um sich gegen ihre Beschuldiger zu verteidigen. Es meldete sich bisher noch kein Ritter, um sich ihrer Sache anzunehmen und ihre Widersacher zu bekämpfen. Da erscheint auf dem Fluss ein Schwan, auf dem ein Ritter steht. Der Schwan schwimmt nach dem Ort, an dem das Gericht abge­halten wird. Der Ritter springt ans Ufer und bietet sich an, Elsa zu verteidigen unter der Bedingung, dass sie ihn heiratet. Sie sagt bereitwillig ja, denn er ist ihr kein Fremder; sie hat ihn oft in ihren Träumen gesehen und liebt ihn schon lange. Im Zweikampf zwischen dem unbekannten Ritter und Telramund wird Telramund geschlagen, doch wird ihm sein Leben großmütig von dem Sieger geschenkt, der Elsa als seine Braut heimführt. Er hatte jedoch noch eine Bedingung gemacht, die nämlich, dass sie niemals fragen dürfe, wer er sei und woher er käme. Da er gut und edel erscheint und wie eine Antwort auf ihr Gebet kommt, nimmt sie auch diese Bedingung an und vermählt sich mit ihm.
Wenngleich für den Augenblick geschlagen, geben Ortrud und Telramund ihre Verschwörung gegen Elsa keineswegs auf, und ihr nächster Schachzug ist, Elsa’s Gemüt gegen ihren edlen Beschützer zu vergiften, da­mit er sich von ihr wende, und sie ihnen wieder aus­geliefert werde; denn sie hoffen, sich selber das Herzogtum zu sichern, dessen rechtmäßige Erben Elsa und ihr Bruder sind. In dieser Absicht erscheinen beide vor Elsas Tür, und es gelingt ihnen, sich Ge­hör zu verschaffen. Sie geben vor, äußerst reumütig wegen ihres begangenen Unrechts und sehr besorgt um Elsas Wohlergehen zu sein. Es schmerzt sie sehr, wie sie sagen, dass Elsa von einem Menschen er­rungen sei, dessen Namen sie nicht einmal wüsste, und der seine Herkunft so ängstlich verbergen müsse, dass er sie schon bei der bloßen Frage nach seinem Namen verlassen müsse.
Es müsse etwas in seinem Leben sein, dessen er sich schäme, mutmaßen sie, etwas, das das Licht des Tages scheut. Warum sollte er sonst einer Frau, die willig ist, ihr ganzes Leben dem seinen zu verbinden, die Kenntnis seines Namens und seiner Herkunft vor­enthalten?
Durch diesen Argwohn wecken sie den Zweifel in Elsas Seele. Sie kehrt nach dieser Unterhaltung verwandelt zu Lohengrin zurück. Er bemerkt den Unterschied und fragt nach der Ursache. Schließlich gibt sie zu, dass die Ungewissheit über ihn sie plagt, und dass sie seinen Namen wissen möchte. Dadurch hat sie die Bedingung gebrochen, die ihr auferlegt war und er sagt ihr, dass nun, da sie an ihm gezweifelt habe, es ihm unmöglich sei, bei ihr zu bleiben. Weder Tränen noch Beteuerungen können ihn in seinem Entschluß wankend machen, und sie gehen zusammen hinab zum Fluss, wo Lohengrin seinen treuen Schwan herbeiruft. Als dieser erscheint, nennt er seinen Namen und sagt: „Ich bin Lohengrin, der Sohn von Parzival“. Der Schwan verwandelt sich und steht als Elsas Bruder da, der fortan ihr Beschützer wird an Stelle des scheidenden Lohengrin.
Wie gesagt, die Geschichte von Lohengrin behandelt eine der wichtigsten Aufgaben, die auf dem Pfade zu lösen sind. Keiner erlangt eine Einweihung, ohne sie gelöst zu haben. Um diesen Punkt voll zu erfassen, ist es wichtig. zuerst das Symbol des Schwanes zu betrachten, zu erforschen, was sich hinter ihm verbirgt und zu fassen, warum das Symbol gebraucht wird. Wer die Oper Parzival kennt oder aufmerksam die Literatur über den Gral gelesen hat, weiß, daß der Schwan das Abzeichen war, das alle Gralsritter trugen.
In der Oper selber werden zwei Schwäne erwähnt, die das heilende Bad für den leidenden König Amfortas bereiten. Parzival erschießt in der Eingangsszene einen dieser Schwäne und ihm wird viel Leiden von den Gralsrittern wegen dieser ungebührlichen Grausamkeit verkündet.
Der Schwan ist fähig in verschiedenen Elementen zu leben. Er kann mit großer Schnelligkeit durch die Luft fliegen; er gleitet majestätisch durch das Wasser, und durch seinen langen Hals ist er imstande, in die Tiefen einzudringen und alles zu erforschen, was sich am Grunde eines nicht zu tiefen Gewässers befindet. Er ist deshalb ein Symbol des Eingeweihten, des Initiierten, der zufolge der in ihm entwickelten Macht fähig ist, sich in höhere Pläne aufzuschwingen und sich in verschiedenen Welten zu bewegen. Wie der Schwan den Raum durchfliegt, kann einer, der Seelenkraft entwickelt hat, in seinem Seelenkörper über Berg und Meere reisen. Wie der Schwan unter die Oberfläche des Wassers taucht, kann der Initiierte in seinem Seelenkörper in die Tiefen der Erde ein­dringen, denn weder Feuer, Erde, Luft noch Wasser bringen ihm Gefahr. Tatsächlich ist eines der ersten Dinge, das den unsichtbaren Helfern gelehrt wird, das Wissen, dass sie unanfechtbar für jegliche Gefahr sind, die sie im physischen Körper befallen mag, wenn sie mit dem goldenen Hochzeitsgewand bekleidet sind, das des öfteren erwähnt wurde. So können sie in ein brennendes Gebäude eindringen und dort den gefährdeten Menschen helfen, oftmals auf eine ganz geheimnisvolle Weise, oder sie können an Bord eines sinkenden Schiffes gehen und denen Mut zusprechen, die im Begriff sind, der großen Wandlung ins Auge zu schauen.
Die alte nordische Mythologie erzählt uns, wie die edlen Krieger jener vergangenen Zeit, wenn sie endgültig besiegt und tödlich verwundet waren, ihren Schwanengesang sangen. Aber es darf nicht einen Augenblick vorausgesetzt werden, dass nur der rohe Kampf auf dem Schlachtfeld mit Schwert und Lanze ausgefochten, gemeint war, sondern dass hier vielmehr vom inneren Kampf die Rede war. Wenn eine edle Seele den Kampf des Lebens gut gekämpft hatte, wenn sie schließlich das erreicht hatte, was in jenen Tagen möglich war, sang sie ihr Schwanenlied, das heißt, sie nahm ihr Gelübde der Initiation auf sich. Es eröfneten sich ihr noch neue Gebiete der Seele, in denen sie anderen helfen konnte, wie sie ihnen hier geholfen hatte, denn es war die heilige Pflicht eines edlen Ritters, denen beizustehen, die schwach und schwer beladen waren.
Elsa ist die Tochter eines Königs. Sie ist so von höchster und edelster Herkunft. Keiner, der nicht auf diese Art wohlgeboren ist, kann in dieser Weise Anspruch auf die Dienste eines Ritters wie Lohengrin machen, natürlich kann innerhalb der Menschheit von hoch und niedrig nur in bezug auf die Stufenleiter der Evolution geredet werden. Wenn eine Seele lange genug auf der Bühne des Lebens war, wenn sie lange Leben hindurch in die Schule des Lebens ging, dann erwirbt sie sich allmählich den Adel, den die gelern­ten Aufgaben und den die Arbeit bildet, der seine Lehrer die Richtung geben. Diese Lehrer sind unsere Älteren Brüder, die uns jetzt die Lehren des Lebens zuerteilen. Der durch Eifer und Fleiß erworbene Adel und die Liebestaten an unseren weniger entwickel­ten Mitmenschen sind der Schlüssel zu ihrer Gunst, und als daher Elsa in Bedrängnis kam, wurde eine edle Seele ausgesandt, sie zu lehren und zu führen.
In der Offenbarung Johannis lesen wir von der mystischen Hochzeit der Braut und des Lammes. Diese Hochzeit findet in der Erfahrung einer jeden Seele auf dem Pfade immer unter ähnlichen Umstän­den statt. Eines der ersten Erfordernisse ist, dass die Seele von jedermann sonst verlassen sein muss; sie muss allein stehen ohne einen einzigen Freund in der Welt. Wenn dieser Punkt erreicht wurde, wenn die Seele keinen Beistand aus irdischer Quelle mehr sieht, wenn sie sich mit ganzem Herzen dem Himmel zuwendet und um Erlösung bittet, dann kommt der Erlöser und auch das Anerbieten der Ehe. In andern Worten: der wahre Lehrer kommt immer als Antwort auf das ernste Gebet des Strebenden, aber nicht be­vor er die Welt verließ und von der Welt verlassen wurde. Er erbietet sich, den, der sich so nach Füh­rung sehnt, in seine Obhut zu nehmen und besiegt dann die Unwahrheit mit dem Schwerte der WAHR­HEIT. Ist aber dieser Beweis gegeben, verlangt er hinfort unbedingten, unbedenklichen Glauben. Man beachte — lasse es sich ins Gedächtnis eingraben, mit feurigen Lettern dem ganzen Wesen einbrennen, dass, wenn die Antwort auf das Gebet gekommen ist, (ein Gebet sind nicht nur Worte, sondern es ist ein nur vom Streben erfülltes Leben) auch der unzweifel­hafte fraglose Beweis der Macht und Fähigkeit des Lehrers zu lehren, zu leiten und zu helfen ge­geben wird; und dann wird die Bedingung gestellt, dass fortan unbedingtes Vertrauen in den Lehrer ge­setzt werden muss, sonst wird es ihm unmöglich, mit dem Strebenden zu arbeiten.
Das ist die große Lehre, die die Mythe von Lohen­grin dem Menschen vermittelt, und sie ist von überragender Bedeutung, denn Tausende ziehen heutzutage ihre Straßen in vielen Städten und blicken hier­hin und dahin auf der Suche nach einem Lehrer. Einige behaupten, ihn gefunden zu haben, oder täuschen sich selbst in dem Glauben, dass es geschehen sei, aber die Bedingung, die Lohengrin aufstellt, ist ein tatsächliches Erfordernis. Der Lehrer wird und muss seine Fähigkeit beweisen. An seinen Früchten wird er erkannt, dafür fordert er treue Ergebenheit, und wenn nicht dieser Glaube, diese Treue, diese Bereit­schaft zu dienen, willig zu tun was immer als not­wendig verlangt werden muss, aus dem Strebenden hervorbricht, endet diese Beziehung. Wie heiß auch die Tränen der Reue sein mögen, die der Strebende vergießt, der seinem Lehrer die Treue nicht hielt, wie aufrichtig er bereuen mag, die nächste Gelegenheit bietet sich nicht noch einmal in dem gegenwärtigen Leben.
Darum ist es von größter Wichtigkeit, dass die­jenigen, die nach Initiation trachten, begreifen, dass der erklärte Lehrer ihnen etwas schuldig ist, ehe sie ihn annehmen. Er muss die Früchte seiner Arbeit zeigen, denn wie CHRISTUS sagte: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Das tut der rechte Lehrer immer ungebeten, und ohne den Anschein zu er­wecken, dass er es tut, oder den Wunsch zu zeigen, dass er ein Zeichen geben will. Er bringt immer eine Augenscheinlichkeit zustande, an die sich das Gemüt des Strebenden als unzweifelhaften Beweis seines überlegenen Wissens und seiner Fähigkeiten halten kann. Wenn dieses erwiesen ist, dann ist es durchaus wesentlich, dass Treue gegen den Lehrer daraus folgen muss. Dessenungeachtet was der eine oder der andere sagen mag, soll der Schüler sich nicht stören lassen, sondern unentwegt an der bewiesenen Tatsache festhalten, dem anhangen, das er als wahr erkannt hat und treulich den erheben, zu dem er nach Belehrung aufsieht, denn wenn kein Glaube da ist und kein Vertrauen, hat es keinen Zweck, die Beziehungen aufrecht zu erhalten.
Es ist noch sehr bedeutungsvoll, dass, wie aus dem letzten Bild hervorgeht, Elsas Bruder der Schwan war, den Lohengrin seiner Schwester zugeführt hatte, und der seine natürliche Gestalt wieder erlangte, als Lohengrin scheiden musste. Er war durch die Ein­weihung hindurchgegangen. Er kannte ohne Zweifel den Zustand seiner Schwester, wie eine vorgeschrittene Seele auf dem gleichen Pfade, die um die Kämpfe einer andern weiß, aber obgleich er die missliche Lage dieser schönen Seele, seiner Schwesterseele, sah, fürchtete er nichts, denn war er nicht das Mittel, ihr den Beistand zu bringen, den sie immer hätte haben können, wenn sie die Treue gehalten hätte wie er.