Tristan
und
Isolde

Wagner Inside

Es ist eigentlich vor dem eigenen inneren Tribunal nicht statthaft, aus den Werken Richard Wagners Eines über die Anderen zu stellen. Alle sind sie beseelt von einer ewigen Grundschwingung, die außerhalb alles Zeitlichen thront.

Erst beim Verlassen dieses ewigen Reiches treten in den Werken verschiedene Färbungen auf, die sich in dem Werk „Tristan und Isolde“ in Begriffen wie „Nacht“, „Tod“ und „Liebesekstase“ widerspiegeln. Wagner selbst nannte es auch: „mein Schmerzenskind“.

Diese hier gemeinten Färbungen entstehen durch die wachsende Reife des Künstlers, durch die sich in ihm immer deutlicher deklarierende ewige Idee dahinter.

Als drittes Glied nach der ewigen Schwingung und den Färbungen gibt sich der Mantel des jeweiligen Sagenstoffes als Grundstimmung zu erkennen.

„Tristan und Isolde“ hat jedoch einige besondere Alleinstellungsmerkmale. Wagner komponierte dieses Werk ohne Unterbrechung, wie in einem Guss und befand sich dabei streckenweise in einem ekstatischen Zustand.

Die Arbeit am zweiten Akt z. B. ließ ihn Folgendes an M. Wesendonck richten:

was wird das für Musik! Ich könnte mein ganzes Leben nur noch an dieser Musik arbeiten. O, es wird tief und schön; und die erhabendsten Wunder fügen sich so geschmeidig dem Sinn. So etwas habe ich denn doch noch nicht gemacht: aber ich gehe auch ganz in dieser Musik auf; ich will nichts mehr davon hören, wann sie fertig werde. Ich lebe ewig in ihr. Und mit mir – .

Die Umstände, die die Erschaffung dieses Werkes begleiteten, waren überaus günstig. Der Einfluß Schopenhauers traf tief in Wagners Seele und verstärkte seinen wahren Seelenzustand derart, daß er sich in einem totalen tiefen Einklang mit dieser, seiner Schöpfung, befand.

Bereits 1854 schrieb er an F. Liszt:

Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopfe einen „Tristan und Isolde“ entworfen, die einfachste, aber vollblutigste musikalische Konzeption; mit der „schwarzen Flagge“, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um – zu sterben. –

Wagner war aus dem Grunde seines Wesens heraus, bereit zu sterben. Er äußert das an vielen Stellen. Die Triebkräfte hier in dieser Welt: Macht, Ehre, Ruhm und Besitz, auf das sich das Streben des Menschen zurückführen läßt, hatten in ihm keine Anziehungskraft mehr. An seine Frau, Minna, schreibt er:

Alles, was ich jetzt suche, ist Sammlung meines Inneren, um noch meine Werke vollenden zu können: auf mich wirkt der Ruhm nicht mehr, am Gelingen der Aufführung meiner Werke verzweifle ich auch, – nichts, nichts – als das Arbeiten, das Schaffen selbst erhält mich am Leben. …

Ich bin nun in einer wildfremden Welt! Nichts um mich, als meine Manu­skripte, die mir zeigen, was ich noch zu tun und – zu leiden habe!

Lebensmüdigkeit würde diesen Zustand nur ungenügend beschreiben. Lebensmüde ist nur die irdische Seele, die empfindet, daß, wie der Prediger sagt: „alles eitel Haschen nach Wind“ ist. Dieser Zug ist aber gerade der Ausgangspunkt des ganzen Werkes.

„Das Sehnen hin, zur heil’gen Nacht“ ist die Färbung dieses Werkes. Dieses Sehnen zeugt über das Lebensmüde hinaus von einem inneren „Entflammtsein“, von einem „Vorwärtswollen ins Nichts“, in die Nacht des eigenen Bewusstseins.

Wagner beschreibt den, von Schopenhauer verstärkten Einfluß, so:

Sein Hauptgedanke, die endliche Verneinung des Willens zum Leben, ist von furchtbarem Ernste, aber einzig erlösend. Mir kam er wahrlich nicht neu, und niemand kann ihn überhaupt denken, in dem er nicht bereits lebte. Aber zu dieser Klarheit erweckt hat mir ihn erst dieser Philosoph. Wenn ich auf die Stürme meines Herzens, den furchtbaren Krampf mit dem es sich – wider Willen – an die Lebenshoffnung anklammerte, zurückdenke, ja, wenn sie noch jetzt oft zum Orkan anschwellen, – so habe ich dagegen doch nun ein Quietiv gefunden, das mir endlich in wachen Nächten einzig zu Schlaf verhilft; es ist die herzliche und innige Sehnsucht nach dem Tod: volle Bewusstlosigkeit, gänzliches Nichtsein, Verschwinden aller Träume – einzigste, endliche Erlösung! –

Es war wohl zum Teil die ernste Stimmung, in die mich Schopenhauer versetzt hatte, und die nun nach einem ekstatischen Ausdrucke ihrer Grundzüge drängte …

Sonderbarerweise fiel der Beginn der Dichtung mit der nachbarlichen Annäherung zum Wesendonck’schen Hause zusammen. Mit Mathilde Wesendonck, der Frau seines Freundes, erfuhr er die tragische Geschichte am eigenen Leibe.

Nach Vollendung des ersten Aktes, im Frühjahr 1858, teilte er ihr mit:

Wäre mir sicher in diesem Jahre der Tod prophezeit, ich würde es als das weihevollste und glücklichste meines Lebens genießen.

… und später an seine Schwester Klara:

Sie (M. Wesendonck) hat seit der Zeit unserer ersten Bekanntschaft die unermüdlichste und feinfühlendste Sorge für mich getragen, und alles, was mein Leben erleichtern konnte, auf die mutigste Weise ihrem Manne abgewonnen …

Und diese Liebe, die stets unausgesprochen zwischen uns blieb, mußte sich endlich auch offen enthüllen, als ich vorm Jahre den „Tristan“ dichtete und ihr gab. Da zum ersten Male wurde sie machtlos, und erklärte mir, nun sterben zu müssen.

Die Geschichte von Tristan und Isolde bedeutet die totale Verschmelzung zweier Seelen, die eigene Bewusstseinsaufgabe einschließend und eine Wiedergeburt in dem „Reich, das alle Welt umspannt“. Die Bereitschaft, in diesem Sinne sterben zu wollen, läßt sich nicht aus dieser Welt heraus erklären, jedoch ist der Wunsch, solch eine Liebe erleben zu wollen, jedem Menschen innewohnend.

Richard Wagner war bis zu dem Tode seiner Frau Minna zwar herzzerreißend um sie bemüht, doch das Gefühl eines tiefen inneren Verbundenseins blieb ihm mit ihr versagt. Im Verhältnis mit M. Wesendonck öffnete sich nun ein Spalt zu dieser überirdischen Liebe und ermöglichte ihm, dieses in ein wunderbares Tongemälde zu gießen. Daß dieses Geschenk „in harter Währung erkauft werden muß“, zeigt der spätere Weg der Entsagung, der so eindringlich durch König Marke verkörpert wird.

Zunächst lebt er jedoch noch in einer ungestörten Freude am Schaffen:

Schon gegen die Vollendung des „Tristan“ merke ich diesmal einen ganz fatalistischen Widerstand; das kann mich aber doch nicht dazu bringen, ihn flüchtiger zu arbeiten. Im Gegenteil komponiere ich so daran, als ob ich mein Lebenlang an nichts andrem mehr arbeiten wollte. Dafür wird er aber auch schöner, als was ich je gemacht; die kleinste Phrase hat für mich die Bedeutung eines ganzen Aktes, mit solcher Sorgfalt führ‘ ich sie aus.

Mit dem Beginn des dritten Aktes erkennt er:

Der dritte Akt ist begonnen. Mir ist dabei recht deutlich, daß ich nie etwas Neues mehr erfinden werde; jene eine höchste Blütezeit hat in mir eine solche Fülle von Keimen getrieben, daß ich jetzt nur immer in meinen Vorrat zurückzugreifen habe, um mit leichter Pflege mir die Blume zu erziehen. – Auch ist mir, als ob dieser scheinbar leidenvollste Akt mich nicht so stark angreifen werde, als es zu denken wäre. Sehr griff mich noch der zweite Akt an. Das höchste Lebensfeuer loderte in ihm mit so unsäglicher Glut hell auf, daß es mich fast unmittelbar brannte und zehrte. Je mehr es sich gegen den Schluß des Aktes hin dämpfte, und die sanfte Helle der Todesverklärung aus der Glut brach, wurde ich ruhiger …

Vorausblickend gewahrt er aber auch, daß seine Vorstellungen vor dem Beginn der Arbeit am „Tristan“ so ziemlich über den Haufen geworfen werden. An Mathilde schreibt er:

Kind! Dieser „Tristan“ wird was Furchtbares!

Dieser letzte Akt!!! – – – – – – –

Ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodiert wird – : nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen, ich kann mir’s nicht anders denken. So weit hat’s noch mit mir kommen müssen!! O weh! –

Sein Plan war ja, den großen Ring-Zyklus zu unterbrechen, um „auf die Schnelle“ eine Oper zu schreiben, die von jedem Hause ohne großen Aufwand aufgeführt werden könne. Jetzt scheint sich jedoch die Sache allmählich in eine andere Richtung zu entwickeln.

Die Art des Stoffes und nicht zuletzt das trübe Klima lassen die Arbeit in dieser Phase nicht mehr so zügig vorangehen.

Im ganzen bin ich etwas geistesträge und verdrießlich. Ich bin nun zu lange über dieser Arbeit, und nur zu sehr fühle ich, daß meine Produktionskraft dabei nur immer noch aus den Keimen und Blüten sich nährt, die eine kurze Zeit wie ein be­fruchtendes Gewitter in mir wirkte. Zum eigentlichen Schaffen komme ich dabei gar nicht mehr recht; je länger es aber wird, desto glücklicher muß ich mich stets gestimmt fühlen, wenn mir der innere Vorrat ganz wach werden soll, und diese Stimmungen lassen sich nun eben durch keine Reflexionen erzwingen, wie sonst wohl so manches, zumal der Welt gegenüber. Ich arbeite zwar täglich etwas, aber kurz und wenig, wie eben die Lichtblicke sind, oft würde ich lieber gar nichts machen, wenn mich dann nicht das Grausen vor einem so ganz leer gelassenen Tage antrieb ….

Denken Sie aber, ich habe mich noch nicht entschließen können, mir, seitdem ich hier bin, wieder den zweiten Akt vorzuführen, so daß der schon wie ein un­kenntlicher Traum hinter mir liegt. Ich hab‘ keinen Trieb dazu, und alles schweigt um mich, das Element, in dem ich einzig nur noch leben soll und kann, fehlt mir ganz. Sollte ich gedeihen, so müsste mir meine Kunst und ihre Ein- und Rückwir­kungen auf mich bis zur Berauschung, bis zum vollen Selbstvergessen stets nahe sein. Immer aber bleibt gerade mir nur eigentlich das Leben vorliegen; das Leben, in dem ich eine so unnatürliche, traurige Rolle spiele. Das ist eben nicht, wie es sein sollte; und bleibe ich bei meinem Willen, so muss mir endlich fast eine Art von Eigensinn helfen. Natürlich, und von selbst macht sich dabei nichts, selbst mein Kunstschaffen nicht.

Ein schmerzliches Gefühl der Einsamkeit befällt ihn und läßt ihn nahezu verzweifeln. An seinen Freund Liszt schreibt er:

Kinder! Kinder ! Ich fürchte, man lässt mich zu lang‘ im Stich, und das „Zu spät“ wird Euch auch einmal in bezug auf mich zu Gemüt kommen. Da heißt,s denn nun: „Mach‘ den ‚Tristan‘ fertig, dann wollen wir sehen!“ ― Das ist recht schön. Wie aber, wenn ich den „Tristan“ nun nicht fertigmachte, weil ich Ihn nicht fertigmachen könnte? Mir ist, als sollte ich nun vor dem ― Ziele (?) ― endlich ver­schmachtend zusammenbrechen. Wenig­stens sehe ich mir täglich mit recht gutem Willen mein Buch an, aber der Kopf bleibt wüst, das Herz leer, und ich starre hinaus in die Nebel- und Regenwolken, die undurchdringlich seit meinem Hiersein mir selbst die Aussicht, durch erfrischende Exkursionen mein trübes Blut etwas aufzurütteln, unerfüllt lassen. Da heißt’s denn ― nun, arbeite nur, dann wird’s schon wieder gehen! Vor­trefflich; ich armer Teufel habe aber so ganz und gar keine Routine, und wenn ’s nicht von selbst geht, kann ich eben nichts machen. Recht lieblich das! Und dazu nun so gar keine Chance, mir auf einem andren Wege zu helfen. Alles verrannt und versperrt! Nur die Arbeit soll mir helfen: aber, was hilft mir dazu, daß ich eben arbeiten kann?

Und an M. Wesendonck:

Es kommt mir alles, was ich hingeworfen habe, so grässlich schlecht vor, daß ich die Lust verliere, und nicht weiter will. Heute zwang ich mich dazu, eine Stelle aus der Skizze ins reine zu arbeiten, die mir immer zuletzt so missfiel, daß ich glaubte, sie gänzlich umarbeiten zu müssen. Aber mir fiel nichts Besseres ein, und darüber war ich so trostlos, daß ich an Aufgeben usw. dachte. Endlich ― in der Ver­zweiflung ― arbeitete ich heute die Stelle ins reine, indem ich sie ganz, wie in der Skizze, lasse, nur hier und da ein paar Geringfügigkeiten korri­giere; nun trage ich sie mir vor und finde, daß sie so gut ist, daß ich sie eben deshalb nicht mehr besser machen konnte. ― Ist das nicht zum Lachen? ―

Die Stimmungsumschwünge des dritten Aktes sind für ihn wie eine Berg- und Talfahrt:

Ich bin jetzt mit der Ausarbeitung der ersten Hälfte meines Aktes beschäftigt. Über die leidenden Stellen komme ich immer nur mit großem Zeitaufwand hinweg; ich kann da im guten Fall in einem Zuge nur sehr wenig fertigbringen. Die frischen, leb­haften, feurigen Partien gehen dann ungleich rascher vonstatten: so lebe ich auch bei der technischen Ausführung „leidvoll und freudvoll“ alles mit durch, und hänge ganz vom Gegenstande ab. Dieser letzte Akt ist nun ein wahres Wechselfieber: ― tiefstes, unerhörtestes Leiden und Schmachten, und dann unmittelbar unerhörtester Jubel und Jauchzen. Weiß Gott, so ernst hat’s noch keiner mit der Sache genommen …

Seiner Frau, Minna, teilt er mit:

So will ich denn aushalten. Bin ich aber mit dieser Arbeit fertig, so schreibe ich keine Note wieder, bis ich nicht in ein andres Leben komme, wenigstens den „Tristan“ aufgeführt, und wieder etwas für das Leben erfrischt und ermutigt bin. Die letzte Note vom „Tristan“ wird das Äußerste sein was man in meiner Lage leisten kann. Dann nichts mehr: oder es muss anders werden zuvor. ― Jedenfalls bedarf auch ich dann etwas der Zerstreuung und Ruhe von dieser ewigen Kopf verzehrenden, aufreibenden Geistesarbeit. Ich ersehne diese Zeit inbrünstig. Mein Leben wird mir immer schwerer. ―

Zum Ende des Aktes hin fällt Wagner die Arbeit wieder leichter. Er bezeigt geradezu übertriebenen Eifer und betrachtet es als einen moralischen Sieg über sich selbst, die kommende Seite für den nächsten Tag zu lassen.

Am 10. Juli schreibt er:

Schlimmer, als es jetzt bei meiner Arbeit hergeht, kann’s bei Solferino (Schlacht bei Solferino) nicht hergegangen sein; da die doch jetzt das Blutver­gießen einstellen, setze ich’s fort; ich räume furchtbar auf. Heute habe ich auch Melot und Kurwenal totgeschlagen. Kommt nur, wenn Ihr Euch das Schlachtfeld einmal mit ansehen wollt, ehe alles begraben wird.

Und abschließend sei noch eine mündlich überlieferte Bemerkung aus späterer Zeit angeführt:

Als er (Wagner) eines Abends aus „Tristan“ sang, bemerkte er, das Werk habe eine ganz eigentümliche Farbe; es sei darin alles wie Violett, wie ein tiefes Lila.

Das deutet hin auf ein Gebiet, in dem sich Grenzbewohner aufhalten. Grenzbewohner sind Menschen, die eine besondere seelische Reife erlangt haben, die den dreidimensionalen Weltenplan verlassen können, um höhere Aufgaben zu übernehmen. Richard Wagner ist einer von denen.