Der Fliegende Holländer

Flucht aus Riga

Von London nach Paris

Doch retteten wir uns alle drei in einen Fiacre, welcher uns der Weisung unsres Kapitäns gemäß für’s erste nach einer Schiffskneipe in der Nähe des Towers, die „Horseshoe-Tavern“, geleitete, von wo aus wir nun den Plan zur Ueberwältigung des Ungeheuers von Stadt zu überlegen hatten.

Die Umgebung, in welche wir hier geriethen, war der Art, dass wir schleunigste Entfernung beschlossen. Von einem kleinen buckeligen Hamburger Juden, welcher sich wohlwollend unsrer annahm, erhielten wir den Nachweis eines besseren Unterkommens im Westend. Die eine volle Stunde dauernde Fahrt dahin ist mir sehr anregend in der Erinnerung geblieben; sie ward in einem der damals noch gebräuchlichen, nur für zwei sich gegenüber sitzende Personen berechneten, winzig schmalen Cabs, in welchem wir den großen Hund querüber durch die Wagenfenster legen mussten, zurückgelegt. Was wir von diesem wunderlichen Versteck aus in dieser Stunde zu beobachten hatten, ging über alle unsre bisherigen Vorstellungen von der Lebendigkeit und Ungeheuerlichkeit einer großen Stadt. In sehr belebter Laune kamen wir vor dem uns bezeichneten boarding-house in old Comptonstreet an. Hatte ich als zwölfjähriger Knabe es im Englischen in kurzer Zeit bis zu einer, mir so dünkenden, Uebersetzung eines Monolog’s aus Shakespeares »Romeo und Julie« gebracht, so wollte die Erinnerung an diese Studie jetzt mir durchaus nichts helfen, als ich darauf bedacht war, mit der Wirthin des Hauses, welches sich » Kingsarms« nannte, zu verständigen. Doch glaubte die Dame, als Wittwe eines Schiffskapitäns, es auf französisch mit mir zu etwas bringen zu können, durch welche Versuche sie mich in Nachdenken darüber versetzte, welches von uns Beiden nichts von dieser Sprache wüsste. Das aufregendste Ereignis trat jedoch sogleich ein, als wir bemerkten, dass Robber uns gar nicht in das Haus gefolgt, sondern sofort bei der Thür entwichen war. Die Sorge und Klage um den trefflichen Hund, den wir nun mit so großer Mühe bis hierher mitgeschleppt hatten, um sofort ihn uns verloren gehen zu sehen, nahmen uns die zwei ersten Stunden des gastlichen Unterkommens in einem wirklich feststehenden Hause ganz ausschließlich ein, bis wir, stets am Fenster spähend, zu unsrer ausgelassenen Freude Robber plötzlich um die Ecke einer Seitenstraße unbefangen auf unser Haus zukommen sahen. Wir erfuhren später, dass unser Hund sich bis nach der Oxford-Street auf Neuigkeiten herumgetrieben hatte, und es blieb mir seine unbegreifliche Rückkehr nach dem Hause, welches er zuvor noch nie mit uns betreten hatte, als ein kräftiges Zeugniss für die erstaunliche Sicherheit des thierischen Instinktes in der Erinnerung. – Nun hatten wir erst Zeit, uns dem Innewerden der großen Belästigung hinzugeben, welche uns die Nachwirkungen der Seefahrt bereiteten. Dass uns der feste Boden fortgesetzt schwankte, und wir bei jedem Schritt in die lächerlichste Verlegenheit, umzustürzen, geriethen, erschien uns fast ergötzlich; als aber das ungeheure zweischläfrige englische Bett, da wir uns zur schwer erkauften Ruhe darin niederließen, unaufhörlich auf und nieder getragen wurde, und sobald wir nur das Auge zum Schlafe schlossen, in eine schreckliche Tiefe hinab versank, so dass wir jedesmal Hilfe rufend daraus emporschnellten, wurde es endlich doch unerträglich, denn uns dünkte, dass die entsetzliche Seefahrt nun unser ganzes Leben lang fortdauern würde. Zu diesen Leiden kam das quälendste Uebelbefinden, welches uns die, nach der gräulichen Schiffskost von uns nun begierig aufgesuchte, piquante Nahrung zuzog.

Sehr geschwächt von allen diesen Nöthen, vergaßen wir dennoch über die Hauptnoth, nämlich, was wir denn eigentlich für theures Geld uns zu erwarten hätten, nachzusinnen, sondern ganz erfüllt von den Wundern der Weltstadt machten wir uns folgenden Tages, als ob wir eben nur auf einer Vergnügungsreise wären, sofort auf eine mannigfaltige Entdeckungsreise in einem Fiacre, nach Anleitung eines auf der Karte von London von mir verzeichneten Planes, auf. Das Staunen und die Freude über alles Wahrgenommene machte uns alles Ueberstandene gänzlich vergessen. Den für unsere Kasse so schädlichen achttägigen Aufenthalt in London rechtfertigte ich einerseits aus der Nöthigung zur Erholung für Minna, andrerseits aus der von mir wahrzunehmenden Veranlassung zur Anknüpfung künstlerischer Beziehungen. Meine bereits in Königsberg componirte Ouvertüre „Rule Britannia“ hatte ich schon während meines letzten Dresdener Aufenthaltes an Sir John Smart, Vorsteher der dortigen philharmonischen Gesellschaft, nach London geschickt; allerdings hatte mir dieser auf meine Sendung nie geantwortet; für desto gebotener hielt ich es nun, ihn dafür zur Rede zu setzen. Während ich mir überlegte, durch welche Verwendung meiner Sprachkenntnisse ich mich mit ihm zu verständigen haben würde, verbrachte ich einige Tage mit Erkundigungen nach seiner Wohnung, deren schließlicher Erfolg die Erfahrung war, dass Smart gar nicht in London sei. Nun bildete ich mir wiederum einige Tage über ein, es wäre gut, wenn ich Bulwer aufsuchte, um mit ihm mich über die musikalische Ausführung seines von mir dramatisirten Romanes „Rienzi“ zu verständigen. Da ich seiner Zeit auf dem Continent erfahren hatte, dass Bulwer Parlaments-Mitglied sei, erkundigte ich mich nach ihm unmittelbar im Parlamentshause. Hier verhalf mir meine gänzliche Unkenntnis der englischen Sprache zu einer unerwartet rücksichtsvollen Aufnahme. Da in dem ungeheuren Gebäude keiner der zunächst von mir angetroffenen niederen Beamten verstand, was ich wollte und suchte, ward ich von diesen in aufsteigender Leiter zu immer höheren Würdenträgern gewiesen. Einem vornehm aussehenden Herrn, der so eben aus einem grossen Saale heraustrat, ward ich, während Minna immer zu meiner Seite war und nur Robber in Kingsarms“ zurückgeblieben, wie es schien, als völlig unverständlicher Mensch vorgestellt. Auf französisch freundlich von ihm befragt, was ich wünschte, schien meine Erkundigung nach dem berühmten Bulwer keinen ungünstigen Eindruck zu machen. Es musste mir zwar gemeldet werden, dass der Gesuchte nicht in London sei; da ich aber weiter frug, ob es nicht möglich sei, dass ich einer Parlamentssitzung beiwohnen könne, bedeutete mir der Herr, dass in dem höchst beschränkten, in Folge des kürzlichen Brandes der alten Parlamentshäuser provisorisch zu den Sitzungen verwendeten Lokale, nur wenigen Begünstigten gegen Eintrittskarten der Besuch gestattet sei; auf mein besonders zutrauliches Andringen entschloss sich jedoch mein Gönner, den ich, da wir uns vor dem Oberhause befanden, wohl nicht mit Unrecht für einen Lord in eigner Person zu halten hatte, in Kürze uns eine Thür zu öffnen, und uns so unmittelbar in den engen reservirten Zuhörerraum des Sitzungssaals der Peers von England einzuführen. Diess war mir denn über alle Maßen interessant. Ich hörte und sah den damaligen Premier, Lord Melbourne, Brougham (welcher mir eine außerordentlich bewegliche Rolle zu spielen schien und, wie es mich dünkte, Melbourne mehrere Male einhalf); außerdem den Herzog von Wellington, welcher mit seinem grauen Castor-Hute auf dem Kopfe, die beiden Hände in den Hosentaschen, namentlich durch das Schütteln seines Leibes bei gewissen stärkern Accenten seiner ganz conversationell klingenden Rede, auf mich einen, alle übertriebene Ehrfurcht zerstreuenden, behaglichen Eindruck machte. Außerdem interessirte mich Lord Lindhurst, der spezielle Antagonist Brougham’s, zu welchem, während er sprach, mehrere Male dieser sein Gegner, zu meinem höchsten Erstaunen, ganz gemüthlich sich an die Seite setzte, um auch ihm, wie es mir schien, einzuhelfen. Es handelte sich, wie ich späterhin aus der Zeitung ersah, um Maßregeln gegen die Portugiesische Regierung zur kräftigen Durchführung der Bill gegen Sklavenhandel. Der Bischof von London, den ich hierbei auch zu hören Gelegenheit hatte, war unter den Herren der Einzige, welcher durch Ton und Haltung auf mich einen ungemüthlichen Eindruck machte, woran vielleicht mein Vorurtheil gegen den geistlichen Stand überhaupt schuld war.

Nach diesem glücklichen Abenteuer schien mir London für diesmal erschöpft zu sein, denn obgleich ich keiner Sitzung des Unterhauses beiwohnen konnte, führte mich doch mein unermüdlich freundlicher Gönner, auf welchen ich wiederum beim Hinausgehen zufällig stieß, noch in das Sitzungslokal der Gemeinen, erklärte mir dort alles Nöthige, ließ mich auch den Wollsack des Sprechers, sowie die unter dem davorstehenden Tisch verborgene Keule dieses Würdenträgers in Augenschein nehmen, und belehrte mich über verschiedenes so genau, dass ich jetzt alles Wissenswerthe der Hauptstadt des brittischen Reiches vollkommen innezuhaben glaubte. An das Aufsuchen der italienischen Oper dachte ich nicht im mindesten, vielleicht schon weil ich mir die verderblichsten Vorstellungen über die enormen Eintrittspreise daselbst machen zu müssen glaubte. Nachdem wir im übrigen noch fleißig die Hauptstraßen der Stadt, oft bis zur größten Ermüdung, durchwandert, auch den gespensterartigen Eindruck eines Londoner Sonntags mit völligem Grausen in uns aufgenommen, und schließlich mit dem Capitain der „Thetis“ zum ersten Mal in unsrem Leben eine Dampfwagenfahrt, und zwar nach dem Park von Gravesend, ausgeführt hatten, reisten wir nun am 20. August mit dem Dampfschiff nach Frankreich ab, wo wir des Abends in Boulogne sur mer, mit brünstigen Wünschen, es nie wieder befahren zu müssen, vom Meere Abschied nahmen. –

Eine gewisse Bangigkeit vor der mit unsrer Einkehr in Paris ahnungsvoll vorausgefühlten Enttäuschung, die wir uns jedoch gegenseitig verbargen, wirkte nebst andren Gründen mit dazu, dass wir zuvörderst uns einige Wochen in oder bei Boulogne zu verweilen bestimmten. Jedenfalls befanden wir uns noch in zu früher Jahreszeit, um die verschiedenen wichtigen Personen, die ich für mein Vorhaben in Paris aufzusuchen hatte, jetzt schon dort anzutreffen; dagegen es mir überaus glücklich erschien, von Meyerbeer’s Aufenthalt eben in Boulogne selbst zu erfahren. Ausserdem hatte ich noch einen Theil des 2. Aktes des » Rienzi« zu instrumentiren; es lag mir daran, bei meinem Eintritt in dem kostspieligen Paris sofort wenigstens die vollendete Hälfte meines Werkes vorlegen zu können, und in der Nähe von Boulogne schien uns für diese Zeit ein wohlfeilerer Aufenthalt aufzufinden zu sein. Einen solchen aufzusuchen, durchstreiften wir zu allernächst die Umgegend, und fanden auf der grossen Strasse nach Paris, in halbstündiger Entfernung von Boulogne, im frei gelegenen Haus eines ländlichen Marchand de vin, zwei fast unmeublirte Kammern, die wir auf kurze Zeit mietheten und zu unsrem Zweck mit vieler Erfindung, worin namentlich Minna sich auszeichnete, dürftig, aber genügend einrichteten. Ausser einem Bett und zwei Stühlen ward ein Tisch aufgetrieben, auf welchem wir, sobald ich meine Arbeit am Rienzi“ hinweggeräumt hatte, unsre in einem Kamine selbst zubereiteten Mahlzeiten zu uns nahmen.

Von hier aus machte ich mich denn zu einem ersten Besuch bei Meyerbeer auf. In Journalen hatte ich öfter von dessen sprichwörtlich gewordener Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit gelesen; dass er mir auf meinen früheren Brief nicht geantwortet, verzieh ich ihm gerne, und fand mich in meiner besten Meinung nun wirklich auch nicht enttäuscht, als ich bald von ihm vorgelassen und freundlich empfangen wurde. Er machte in jeder Hinsicht auf mich einen vortheilhaften Eindruck, wozu sein damals vom Alter noch nicht in der bedenklichen Weise, wie es bei jüdischen Physiognomien gewöhnlich eintritt, erschlaffter, namentlich durch eine schön geformte Umgebung der Augen sehr hoffnungsweckender, Gesichtsausdruck entscheidend beitrug. Mein Vorhaben, in Paris als dramatischer Componist mein Aufkommen zu suchen, wollte er nicht für verzweiflungsvoll ansehen. Er gestattete mir, ihm den Text meines » Rienzi« vorzulesen, und hörte auch wirklich bis zum Schluss des dritten Aktes zu, nahm die fertigen zwei Akte der Composition zur Durchsicht an, und bezeugte mir bei einem späteren Besuche seine rückhaltslose Theilnahme für meine Arbeit, wobei es mich jedoch einigermaßen störte, dass er wiederholt auf das bewundernde Lob meiner zierlichen Handschrift zurückkam, an welcher er den „Sachsen“ vortheilhaft wiederzuerkennen glaubte. Er versprach mir empfehlende Briefe an den Direktor der großen Oper, Duponchel, und an den chef d’orchestre derselben, Habeneck. Ich glaubte somit vollen Grund zu haben, mein Geschick zu preisen, welches mich durch die abenteuerlichsten Drangsale gerade an diese Stelle Frankreichs hingetrieben hatte. Welcher glücklichere Erfolg wäre in so kurzer Zeit zu gewinnen gewesen, als er mir jetzt durch die schnell erworbene Theilnahme des berühmtesten Componisten der französischen Oper geworden war? Meyerbeer führte mich auch bei dem zum Besuch gleichfalls in Boulogne weilenden Moscheles, auch bei Frl. Blahedka, der mir schon früh als Berühmtheit bekannten Virtuosin, ein. Bei beiden wohnte ich vertraulichen musikalischen Soiréen bei, und fand mich somit zum ersten Mal in einem Elemente des Umgangs mit musikalischen Berühmtheiten, welches mir bisher noch gänzlich fremd geblieben war.

Nachdem ich meinem zukünftigen Schwager Avenarius um Besorgung eines geeigneten Unterkommens für uns nach Paris geschrieben hatte, machten wir uns nun am 16. September in der Diligence zur Reise dahin auf, wobei Robber, welchen ich auf der hohen Impériale unterzubringen hatte, mir wiederum die altgewohnte Noth bereitete. – Mit der höchsten Spannung meiner Ankunft in dem ersehnten Paris zugewandt, bedauerte ich zunächst von dieser Stadt nicht den großartigen Eindruck wieder zu gewinnen, den mir zuvor London verschafft hatte. Alles schien mir enger, eingedrückter, und namentlich von den berühmten Boulevards hatte ich mir colossalere Vorstellungen gemacht. Unerhört war mein Ärger, in einer grässlich engen Gasse, der rue de la Jussienne, von unsrer riesigen Diligence herab zum ersten Mal den Pariser Boden betreten zu müssen. Auch die rue Richelieu, in welcher ich die Buchhandlung meines Schwagers aufzusuchen hatte, imponirte mir, im Vergleich zu den Straßen des Londoner Westends, gar nicht. Als ich nun von hier aus, zum Einzug in die für mich gemiethete Chambre garnie, in eine der engen Seitengassen, welche die rue St. Honoré mit dem marché des Innocents verbindet, der rue de la Tonnellerie, gewiesen wurde, kam ich mir wirklich wie degradirt vor. Es bedurfte der tröstlichen Inschrift des Hauses meines hôtel garni’s, welche unter einer Büste Molière’s die Worte enthielt: maison où naquit Molière, um mich durch gute Vorbedeutung für die empfangenen geringen Eindrücke einigermassen zu trösten. Klein, aber freundlich und wohlanständig ausgestattet, empfing uns das um billigen Preis für uns bereit gehaltene Zimmer des vierten Stockes, aus dessen Fenstern wir bald mit wachsender Bangigkeit auf das ungeheure Marktgewühle in den Straßen herabblickten, von dem ich nicht zu begreifen vermochte, was ich in seiner Nähe zu suchen haben könnte.