Parsifal

Libretto

  1. Aufzug – 1. Szene   He! Ho! Waldhüter ihr, – Schlafhüter mitsammen,

                 – 2.Szene   Nun achte wohl und lass mich seh’n; bist du ein Tor und rein

 
 
 
 
       

Erster Akt – Erste Szene

Im Gebiet des Grales. – Wald, schattig und ernst, doch nicht düster. Eine Lichtung in der Mitte. Links aufsteigend wird der Weg zur Gralsburg angenommen. Der Mitte des Hintergrundes zu senkt sich der Boden zu einem tiefer gelegenen Waldsee hinab. – Tagesanbruch. – Gurnemanz (rüstig greisenhaft) und zwei Knappen (von zartem Jünglingsalter) sind schlafend unter einem Baume gelagert. – Von der linken Seite, wie von der Gralsburg her, ertönt der feierliche Morgenweckruf der Posaunen.

Gurnemanz erwachend und die Knaben rüttelnd.
He! Ho! Waldhüter ihr, – Schlafhüter mitsammen, – so wacht doch mindest‘ am Morgen.

Die beiden Knappen springen auf.

Hört ihr den Ruf? Nun danket Gott, dass ihr berufen, ihn zu hören!

Er senkt sich mit den Knappen auf die Knie und verrichtet mit ihnen gemeinschaftlich stumm das Morgengebet; sobald die Posaunen schweigen, erheben sie sich langsam.

Jetzt auf, ihr Knaben! Seht nach dem Bad. Zeit ist’s, des Königs dort zu harren.

Er blickt nach links in die Szene.

Dem Siechbett, das ihn trägt, voraus seh‘ ich die Boten schon uns nah’n.

Zwei Ritter treten, von der Burg her, auf.

Heil euch! – Wie geht’s Amfortas heut? Wohl früh verlangt er nach dem Bade: das Heilkraut, das Gawan mit List und Kühnheit ihm gewann, ich wähne, dass das Lind’rung schuf?

Zweiter Ritter.
Das wähnest du, der doch Alles weiß? Ihm kehrten sehrender nur die Schmerzen bald zurück: – schlaflos von starken Bresten, befahl er eifrig uns das Bad.

Gurnemanz das Haupt traurig senkend.
Toren wir, auf Lind’rung da zu hoffen, wo einzig Heilung lindert! – Nach allen Kräutern, allen Tränken forscht und jagt weit durch die Welt –: ihm hilft nur Eines, – nur der Eine!

Zweiter Ritter
So nenn‘ uns den!

Gurnemanz ausweichend
Sorgt für das Bad!

Die beiden Knappen haben sich dem Hintergrunde zugewendet und blicken nach rechts.

Zweiter Knappe
Seht dort die wilde Reiterin!

Erster Knappe
Hei! Wie fliegen der Teufelsmähre die Mähnen!

Zweiter Ritter
Ha! Kundry dort?

Erster Ritter
Die bringt wohl wicht’ge Kunde?

Zweiter Knappe
Die Mähre taumelt.

Erster Knappe
Flog sie durch die Luft?

Zweiter Knappe
Jetzt kriecht sie am Boden hin.

Erster Knappe
Mit den Mähnen fegt sie das Moos.

Alle blicken lebhaft nach der rechten Seite

Zweiter Ritter
Da schwingt sich die Wilde herab!

Kundry stürzt hastig, fast taumelnd, herein. Wilde Kleidung, hoch geschürzt; Gürtel von Schlangenhäuten lang herabhängend: schwarzes, in losen Zöpfen flatterndes Haar; tief braunrötliche Gesichtsfarbe; stechende schwarze Augen, zuweilen wild aufblitzend, öfters wie todesstarr und unbeweglich. – Sie eilt auf Gurnemanz zu und dringt ihm ein kleines Kristallgefäß auf.

Kundry
Hier? Nimm du! – Balsam …

Gurnemanz
Woher brachtest du dies?

Kundry
Von weiter her, als du denken kannst: hilft der Balsam nicht, Arabia birgt dann nichts mehr zu seinem Heil. – Frag nicht weiter! – Ich bin müde.

Sie wirft sich an den Boden. Ein Zug von Knappen und Rittern, die Sänfte tragend und geleitend, in welcher Amfortas ausgestreckt liegt, gelangt – von links her – auf die Bühne. – Gurnemanz hat sich, von Kundry ab, sogleich den Ankommenden zugewendet.

Gurnemanz
Er naht – sie bringen ihn getragen. – O weh! Wie trag ich’s im Gemüte, in seiner Mannheit stolzer Blüte des siegreichsten Geschlechtes Herrn als seines Siechtums Knecht zu seh’n!

Zu den Knappen
Behutsam! Hört, der König stöhnt.

Die Knappen halten an und stellen das Siechbett nieder 

Amfortas der sich ein wenig erhoben.
Recht so! Habt Dank! – Ein wenig Rast.
Nach wilder Schmerzensnacht – nun Waldes Morgenpracht! Im heil’gen See wohl labt mich auch die Welle: es staunt das Weh, die Schmerzensnacht wird helle.
Gawan!

Zweiter Ritter
Herr! Gawan weilte nicht; da seines Heilkrauts Kraft, wie schwer er’s auch errungen,
doch deine Hoffnung trog, hat er auf neue Sucht sich fortgeschwungen.

Amfortas
Ohn‘ Urlaub! – Möge das er sühnen, dass schlecht er Grals-Gebote hält! O wehe ihm, dem trotzig Kühnen, wenn er in Klingsors Schlingen fällt! – So breche Keiner mir den Frieden! Ich harre des, der mir beschieden: »durch Mitleid wissend« – war’s nicht so? –

Gurnemanz
Uns sagtest du es so.

Amfortas
– »der reine Tor –« Mich dünkt ihn zu erkennen: dürft ich den Tod ihn nennen!

Gurnemanz indem er Amfortas das Fläschchen Kundrys überreicht
Doch zuvor – versuch es noch mit diesem!

Amfortas
Woher dies heimliche Gefäß?

Gurnemanz
Dir ward es aus Arabia hergeführt.

Amfortas
Und wer gewann es?

Gurnemanz
Dort liegt’s, das wilde Weib. Auf, Kundry! Komm!

Kundry weigert sich und bleibt am Boden.

Amfortas
Du – Kundry? Muss ich dir nochmals danken, du rastlos scheue Magd?
Wohlan, den Balsam nun versuch ich noch: es sei aus Dank für deine Treue.

Kundry unruhig und heftig am Boden sich bewegend
Nicht Dank! – Ha ha! – was wird er helfen! Nicht Dank! Fort, fort – in’s Bad!

Amfortas gibt das Zeichen zum Aufbruch; der Zug entfernt sich nach dem tieferen Hintergrunde zu. – Gurnemanz, schwermütig nachblickend, und Kundry, fortwährend auf dem Boden gelagert, sind zurückgeblieben. – Knappen gehen ab und zu.

Dritter Knappe
He! Du da! Was liegst du dort wie ein wildes Tier?

Kundry
Sind die Tiere hier nicht heilig?

Dritter Knappe
Ja –! Doch ob heilig du, das wissen wir grad‘ noch nicht.

Vierter Knappe
Mit ihrem Zaubersaft – wähn ich – wird sie den Meister vollends verderben.

Gurnemanz
Hm! Schuf sie euch Schaden je? – Wann Alles ratlos steht, wie kämpfenden Brüdern in fernste Länder Kunde sei zu entsenden, und kaum ihr nur wisst wohin, – wer, ehe ihr euch nur besinnt, stürmt und fliegt dahin und zurück, der Botschaft pflegend mit Treu und Glück? Ihr nährt sie nicht, – sie naht euch nie, nichts hat sie mit euch gemein: doch, wann’s in Gefahr der Hilfe gilt, der Eifer führt sie schier durch die Luft, die nie euch dann zum Danke ruft. Ich wähne, ist dies Schaden, so tät‘ er euch gut geraten.

Dritter Knappe
Doch hasst sie uns; sieh nur, wie hämisch dort nach uns sie blickt!

Vierter Knappe
Eine Heidin ist’s, ein Zauberweib.

Gurnemanz
Ja, eine Verwünschte mag sie sein. Hier lebt sie heut, vielleicht erneut, zu büßen Schuld aus früh’rem Leben, die dorten ihr noch nicht vergeben. Übt sie nun Buß‘ in solchen Taten, die uns Ritterschaft zum Heil geraten, gut tut sie dann und recht sicherlich, dienet uns – und hilft auch sich.

Dritter Knappe
So ist’s wohl auch jen‘ ihre Schuld, die uns so manche Not gebracht?

Gurnemanz sich besinnend
Ja, – wann oft lange sie uns ferne blieb, dann brach ein Unglück wohl herein. Und lang schon kenn‘ ich sie; doch Titurel kennt sie noch länger. Der fand, als er die Burg dort baute, sie schlafend hier im Waldgestrüpp – erstarrt, leblos, wie tot. So fand ich selbst sie letztlich wieder, als uns das Unheil kaum gescheh’n, das jener Böse über den Bergen so schmählich über uns gebracht.

Zu Kundry
He! Du! Hör mich und sag: wo schweiftest damals du umher, als unser Herr den Speer verlor?

Kundry schweigt düster

Warum halfst du uns damals nicht?

Kundry
Ich helfe nie.

Vierter Knappe
Sie sagt’s da selbst.

Dritter Knappe
Ist sie so treu, so kühn in Wehr,
so sende sie nach dem verlor’nen Speer!

Gurnemanz düster
Das ist ein And’res, jedem ist’s verwehrt. –

Mit großer Ergriffenheit

Oh, wundenwundervoller, heiliger Speer! Dich sah ich schwingen von unheiligster Hand!

In Erinnerung sich verlierend

Mit ihm bewehrt, Amfortas, Allzukühner, wer mochte dir es wehren den Zaub’rer zu beheeren? Schon nah dem Schloss – wird uns der Held entrückt: ein furchtbar schönes Weib hat ihn entzückt; in seinen Armen liegt er trunken, der Speer – ist ihm entsunken. Ein Todesschrei! – Ich stürm‘ herbei: von dannen Klingsor lachend schwand: den heil’gen Speer hat‘ er entwandt. Des Königs Flucht gab kämpfend ich Geleite; doch – eine Wunde brannt‘ ihm in der Seite, die Wunde ist’s, die nie sich schließen will. –

Der erste und zweite Knappe kommen vom See her zurück

Dritter Knappe zu Gurnemanz
So kanntest du Klingsor?

Gurnemanz zu den zurückkommenden beiden Knappen
Wie geht’s dem König?

Erster Knappe
Ihn frischt das Bad.

Zweiter Knappe
Dem Balsam wich das Weh.

Gurnemanz für sich
Die Wunde ist’s, die nie sich schließen will! –

Der dritte und der vierte Knappe hatten sich zuletzt schon zu Gurnemanz‘ Füßen niedergesetzt; die beiden anderen gesellen sich jetzt in gleicher Weise zu ihnen unter dem großen Baum

Dritter Knappe
Doch, Väterchen, sag und lehr‘ uns fein: du kanntest Klingsor, – wie mag das sein?

Gurnemanz
Titurel, der fromme Held, der kannt‘ ihn wohl. Denn ihm, da wilder Feinde List und Macht des reinen Glaubens Reich bedrohten, ihm neigten sich, in heilig ernster Nacht, dereinst des Heilands selige Boten: daraus er trank beim letzten Liebesmahle, das Weihgefäß, die heilig edle Schale, darein am Kreuz sein göttlich Blut auch floss, dazu den Lanzenspeer, der dies vergoss, – der Zeugengüter höchstes Wundergut, das gaben sie in unsres Königs Hut.

Dem Heiltum baute er das Heiligtum. Die seinem Dienst ihr zugesindet auf Pfaden, die kein Sünder findet, – ihr wisst, dass nur dem Reinen vergönnt ist sich zu einen den Brüdern, die zu höchsten Rettungswerken des Grales Wunderkräfte stärken. –
Drum blieb es dem, nach dem ihr fragt, verwehrt, Klingsorn – wie hart ihn Müh‘ auch drob beschwert.
Jenseits im Tale war er eingesiedelt; darüber hin liegt üpp’ges Heidenland: – unkund blieb mir, was dorten er gesündigt; doch wollt er büßen nun, ja – heilig werden. Ohnmächtig, in sich selbst die Sünde zu ertöten, an sich legt er die Frevlerhand, die nun, dem Grale zugewandt, verachtungsvoll des Hüter von sich stieß. Darob die Wut nun Klingsorn unterwies, wie seines schmähl’chen Opfers Tat ihm gäb zu bösem Zauber Rat: – den fand er nun.
Die Wüste schuf er sich zum Wonnegarten; drin wachsen teuflisch holde Frauen, dort will des Grales Ritter er erwarten zu böser Lust und Höllengrauen: wen er verlockt, hat er erworben, schon Viele hat er uns verdorben. – Da Titurel, in hohen Alters Mühen, dem Sohn die Herrschaft hier verliehen, Amfortas ließ es da nicht ruhn, der Zauberplag‘ Einhalt zu tun.
Das wisst ihr, wie es da sich fand: der Speer ist nun in Klingsors Hand; kann er selbst Heilige mit ihm verwunden, den Gral auch wähnt er fest schon uns entwunden!

Kundry hat sich, in wütender Unruhe, oft heftig umgewendet

Vierter Knappe
Vor Allem nun, der Speer kehr uns zurück!

Dritter Knappe
Ha! wer ihn brächt‘, ihm wär’s zu Ruhm und Glück?

Gurnemanz nach einem Schweigen
Vor dem verwaisten Heiligtum in brünst’gem Beten lag Amfortas, ein Rettungszeichen bang erflehend: – ein sel’ger Schimmer da entfloß dem Grale; ein heilig Traumgesicht nun deutlich zu ihm spricht durch hell erschauter Wortezeichen Male: »durch Mitleid wissend, der reine Tor, harre sein, den ich erkor!«

Die Vier Knappen
»Durch Mitleid wissend, der reine Tor –«

Vom See her vernimmt man Geschrei und das Rufen der Ritter und Knappen. – Gurnemanz und die vier Knappen fahren auf und wenden sich erschreckt um.

Ritter und Knappen
Weh! Weh! – Hoho! Auf! – Wer ist der Frevler?

Gurnemanz
Was gibt’s?

Ein wilder Schwan flattert matten Fluges vom See daher: die Knappen und Ritter folgen ihm nach auf die Szene

Vierter Knappe
Dort!

Dritter Knappe
Hier!

Zweiter Knappe
Ein Schwan!

Vierter Knappe
Ein wilder Schwan!

Alle Ritter und Knappen
Er ist verwundet. Ha, wehe! Weh!

Gurnemanz
Wer schoss den Schwan?

Der Schwan sinkt, nach mühsamem Fluge, matt zu Boden; der zweite Ritter zieht ihm den Pfeil aus der Brust

Erster Ritter
Der König grüßte ihn als gutes Zeichen, als über’m See kreiste der Schwan: da flog ein Pfeil …

Knappen und Ritter Parsifal hereinführend
Der war’s! Der schoss!

Auf Parsifals Bogen weisend
Dies der Bogen!

Zweiter Ritter den Pfeil aufweisend
Hier der Pfeil, dem seinen gleich.

Gurnemanz
Bist du’s, der diesen Schwan erlegte?

Parsifal
Gewiss! Im Fluge treff‘ ich, was fliegt!

Gurnemanz
Du tatest das? Und bangt es dich nicht vor der Tat?

Die Knappen und Ritter
Strafe den Frevler!

Gurnemanz
Unerhörtes Werk! – Du konntest morden, – hier, im heil’gen Walde, des stiller Frieden dich umfing? Des Haines Tiere nahten dir nicht zahm? Grüßten dich freundlich und fromm? Aus den Zweigen was sangen die Vöglein dir? Was tat dir der treue Schwan? Sein Weibchen zu suchen flog der auf, mit ihm zu kreisen über dem See, den so er herrlich weihte zum Bad. – Dem stauntest du nicht? … Dich lockt es nur zu wild kindischem Bogengeschoss? Er war uns hold: was ist er nun dir? Hier, – schau her! – hier trafst du ihn; – da starrt noch das Blut, matt hängen die Flügel; – das Schneegefieder dunkel befleckt? Gebrochen das Aug‘ – siehst du den Blick?

Parsifal hat Gurnemanz mit wachsender Ergriffenheit zugehört: jetzt zerbricht er seinen Bogen und schleudert die Pfeile von sich.

Wirst deiner Sündentat du inne?

Parsifal führt die Hand über die Augen

Sag, Knab‘ – erkennst du deine große Schuld? Wie konntest du sie begeh’n?

Parsifal
Ich wusste sie nicht.

Gurnemanz
Wo bist du her?

Parsifal
Das weiß ich nicht.

Gurnemanz
Wer ist dein Vater?

Parsifal
Das weiß ich nicht.

Gurnemanz
Wer sandte dich dieses Weges?

Parsifal
Das weiß ich nicht.

Gurnemanz
Dein Name denn?

Parsifal
Ich hatte viele, doch weiß ich ihrer keinen mehr.

Gurnemanz
Das weißt du Alles nicht?

Für sich
So dumm wie den erfand bisher ich Kundry nur!

Zu den Knappen, deren sich immer mehre versammelt haben.
Jetzt geht! Versäumt den König im Bade nicht! – Helft! –

Die Knappen heben den toten Schwan ehrerbietig auf eine Bahre von frischen Zweigen, und entfernen sich mit ihm dann nach dem See zu. – Schließlich bleiben Gurnemanz, Parsifal und – abseits – Kundry allein zurück.

Gurnemanz wendet sich wieder zu Parsifal
Nun sag: nichts weißt du, was ich dich frage; jetzt meld‘, was du weißt; denn etwas musst du doch wissen.

Parsifal
Ich hab eine Mutter; Herzeleide sie heißt. Im Wald und auf wilder Aue waren wir heim.

Gurnemanz
Wer gab dir den Bogen?

Parsifal
Den schuf ich mir selbst vom Forst die wilden Adler zu verscheuchen.

Gurnemanz
Doch adelig scheinst du selbst und hochgeboren: warum nicht ließ deine Mutter bessere Waffen dich lehren?

Parsifal schweigt

Kundry welche während der Erzählung des Gurnemanz von Amfortas‘ Schicksal oft in wütender Unruhe heftig sich umgewendet hatte, nun aber, immer in der Waldecke gelagert, den Blick scharf auf Parsifal gerichtet hat, ruft jetzt, da Parsifal schweigt, mit rauher Stimme daher

Den Vaterlosen gebar die Mutter, als im Kampf erschlagen Gamuret; vor gleichem frühem Heldentod den Sohn zu wahren, waffenfremd in Öden erzog sie ihn zum Toren: – die Törin!

Sie lacht

Parsifal der mit jäher Aufmerksamkeit zugehört
Ja! Und einst am Waldessaume vorbei, auf schönen Tieren sitzend, kamen glänzende Männer; ihnen wollt ich gleichen: sie lachten und jagten davon. Nun lief ich nach, doch konnte sie nicht erreichen. – Durch Wildnisse kam ich, bergauf, talab; oft ward es Nacht, dann wieder Tag: mein Bogen musste mir frommen gegen Wild und große Männer …

Kundry hat sich erhoben und ist zu den Männern getreten; eifrig:
Ja! Schächer und Riesen traf seine Kraft; den freislichen Knaben fürchten sie Alle.

Parsifal verwundert
Wer fürchtet mich? Sag!

Kundry
Die Bösen.

Parsifal.
Die mich bedrohten, waren sie bös?

Gurnemanz lacht

Wer ist gut?

Gurnemanz wieder ernst
Deine Mutter, – der du entlaufen, und die um dich sich nun härmt und grämt.

Kundry
Zu End‘ ihr Gram: seine Mutter ist tot.

Parsifal in furchtbarem Schrecken
Tot? Meine Mutter? – Wer sagt’s?

Kundry
Ich ritt vorbei, und sah sie sterben: – dich Toren hieß sie mich grüßen.

Parsifal springt wütend auf Kundry zu und fasst sie bei der Kehle. – Gurnemanz hält ihn zurück.

Gurnemanz
Verrückter Knabe! Wieder Gewalt?

Nachdem Gurnemanz Kundry befreit, steht Parsifal lange wie erstarrt

Was tat dir das Weib? Es sagte wahr, denn nie lügt Kundry – doch sah sie viel.

Parsifal gerät in ein heftiges Zittern
Ich verschmachte! …

Kundry ist sogleich, als sie Parsifals Zustand gewahrte, nach einem Waldquell geeilt, bringt jetzt Wasser in einem Horne, besprengt damit zunächst Parsifal, und reicht ihm dann zu trinken

Gurnemanz
So recht! So nach des Grales Gnade: das Böse bannt, wer’s mit Gutem vergilt.

Kundry düster
Nie tu ich Gutes: –

Sie wendet sich traurig ab, und während Gurnemanz sich väterlich um Parsifal bemüht, schleppt sie sich, von Beiden unbeachtet, einem Waldgebüsche zu

nur Ruhe will ich, nur Ruhe – ach! – der Müden. Schlafen! – Oh, dass mich keiner wecke!

Scheu auffahrend.

Nein! – Nicht schlafen! – Grausen fasst mich!

Sie verfällt in heftiges Zittern; dann lässt sie die Arme matt sinken

Machtlose Wehr! Die Zeit ist da. Schlafen – schlafen – ich muss! –

Sie sinkt hinter dem Gebüsch zusammen und bleibt von jetzt an unbemerkt. – Vom See her gewahrt man Bewegung und endlich den im Hintergrunde sich heimwendenden Zug der Ritter und Knappen mit der Sänfte.

Gurnemanz
Vom Bade kehrt der König heim; hoch steht die Sonne: nun lass zum frommen Mahle mich dich geleiten; denn bist du rein, wird nun der Gral dich tränken und speisen.

Gurnemanz hat Parsifals Arm sich sanft um den Nacken gelegt, und dessen Leib mit seinem eigenen Arme umschlungen; so geleitet er ihn bei sehr allmählichem Schreiten. – Hier hat die unmerkliche Verwandelung der Bühne bereits begonnen.

Parsifal
Wer ist der Gral?

Gurnemanz
Das sagt sich nicht; doch, bist du selbst zu ihm erkoren, bleibt dir die Kunde unverloren. Und sieh! – Mich dünkt, dass ich dich recht erkannt: kein Weg führt zu ihm durch das Land, und Niemand könnte ihn beschreiten, den er nicht selber möcht‘ geleiten.

Parsifal
Ich schreite kaum, doch wähn ich mich schon weit.

Gurnemanz
Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit.

Erster Akt – Zweite Szene

In der Gralsburg
Allmählich, während Gurnemanz und Parsifal zu schreiten scheinen, hat sich die Szene bereits immer merklicher verwandelt; es verschwindet so der Wald, und in Felsenwänden öffnet sich ein Torweg, welcher die beiden jetzt einschließt. Durch aufsteigende gemauerte Gänge führend, hat die Szene sich vollständig verwandelt. Gurnemanz und Parsifal treten jetzt in den mächtigen Saal der Gralsburg ein.

Gurnemanz sich zu Parsifal wendend, der wie verzaubert steht
Nun achte wohl und lass mich seh’n; bist du ein Tor und rein,
welch Wissen dir auch mag beschieden sein.

Die Säulenhalle mit Kuppelgewölbe, den Speiseraum überdeckend. Auf beiden Seiten des Hintergrundes werden die Türen geöffnet; von rechts schreiten die Ritter des Grales herein und reihen sich um die Speisetafeln.

Die Gralsritter
Zum letzten Liebesmahle gerüstet Tag für Tag,

Ein Zug von Knappen durchschreitet schnelleren Schrittes die Szene nach hinten zu

gleich ob zum letzten Male es heut uns letzten mag.

Ein zweiter Zug von Knappen durchschreiten den Saal

Wer guter Tat sich freut, ihm wird des Mahl erneut;
der Labung darf er nah’n. Die heerste Gab‘ empfahn.

Die versammelten Ritter stellen sich an den Speisetafeln auf. Hier wird von Knappen und dienenden Brüdern durch die entgegengesetzte Türe Amfortas auf einer Sänfte hereingetragen; vor ihm schreiten die vier Knappen, welche den verhängten Schrein des Grales tragen. Dieser Zug begibt sich nach der Mitte des Hintergrundes, wo ein erhöhtes Ruhebett aufgerichtet steht, auf welches Amfortas von der Sänfte herab niedergelassen wird; hiervor steht ein länglicher Steintisch, auf welchen die Knaben den verhängten Gralsschrein hinstellen.

Jünglinge
Den sündigen Welten, mit tausend Schmerzen,
wie einst sein Blut geflossen –
dem Erlösungshelden sei nun mit freudigem Herzen
mein Blut vergossen. Der Leib, den er zur Sühn‘ uns bot,
er lebt in uns durch seinen Tod.

Knaben aus der äußersten Höhe der Kuppel
Der Glaube lebt;
die Taube schwebt,
des Heilands holder Bote.
Der für euch fließt,
des Weines genießt
und nehmt vom Lebensbrote!

Nachdem alle ihre Stelle eingenommen haben und ein allgemeiner Stillstand eingetreten war, vernimmt man vom tiefsten Hintergrunde her aus einer gewölbten Nische hinter dem Ruhebette des Amfortas die Stimme des alten Titurel wie aus einem Grabe heraufdringend.

Titurel
Mein Sohn Amfortas, bist du am Amt? Soll ich den Gral heut noch erschau’n und leben?
Muss ich sterben, vom Retter ungeleitet?

Amfortas
Wehe! Wehe mir der Qual! Mein Vater, o! Noch einmal verrichte du das Amt!
Lebe, leb‘ – und lass mich sterben!

Titurel
Im Grabe leb‘ ich durch des Heilands Huld. Zu schwach doch bin ich, ihm zu dienen.
Du büß‘ im Dienste deine Schuld! Enthüllet den Gral!

Amfortas
Nein! Lass ihn unenthüllt! Oh! Dass keiner, keiner diese Qual ermisst, die mir der Anblick weckt, der euch entzückt! Was ist die Wunde, ihrer Schmerzen Wut, gegen die Not, die Höllenpein, zu diesem Amt – verdammt zu sein! Wehvolles Erbe, dem ich verfallen, ich, einz’ger Sünder unter allen, des höchsten Heiligtums zu pflegen, auf Reine herabzuflehen seinem Segen! O Strafe, Strafe ohnegleichen des – ach! – gekränkten Gnadenreichen! – Nach ihm, nach seinem Weihegruße, muss sehnlich mich’s verlangen; aus tiefster Seele Heilesbuße zu ihm muss ich gelangen.
Die Stunde naht; ein Lichtstrahl senkt sich auf das heilige Werk; die Hülle fällt.
Des Weihgefäßes göttlicher Gehalt erglüht mit leuchtender Gewalt; durchzuckt von seligsten Genusses Schmerz, des heiligsten Blutes Quell fühl‘ ich sie gießen in mein Herz; des eig’nen sündigen Blutes Gewell‘ in wahnsinniger Flucht muss mir zurück dann fließen, in die Welt der Sündensucht mit wilder Scheu sich ergießen; von neuem springt es das Tor, daraus es nun strömt hervor, hier, durch die Wunde, der seinem gleich, geschlagen von desselben Speeres Streich, der dort dem Erlöser die Wunde stach, aus der mit blut’gen Tränen der Göttliche weint‘ ob der Menschheit Schmach, in Mitleids heiligem Sehnen – und aus der nun mir, an heiligster Stelle, dem Pfleger göttlicher Güter, des Erlösungsbalsams Hüter, das heiße Sündenblut entquillt, ewig erneut aus des Sehnens Quelle, das, ach! Keine Büssung je mir stillt!
Erbarmen! Erbarmen! Du Allerbarmer! Ach, Erbarmen!
Nimm mir mein Erbe, schließe die Wunde, dass heilig ich sterbe, rein Dir gesunde!

Er sinkt wie bewusstlos zurück.

Knaben und Jünglinge (aus der mittleren Höhe)
„Durch Mitleid wissend, der reine Tor; harre sein; den ich erkor!“

Die Ritter
So ward es dir verhießen; harre getrost, des Amtes walte heut!

Titurel
Enthüllet den Gral!

Amfortas erhebt sich langsam und mühevoll. Die Knaben nehmen die Decke vom goldnen Schreine, entnehmen ihm eine antike Kristallschale, von welcher sie ebenfalls eine Verhüllung hinwegnehmen, und setzten diese vor Amfortas hin.

Stimmen (aus der Höhe)
Nehmet hin mein Blut, nehmet hin meinem Leib, auf dass ihr mein gedenkt!

Hier dringt ein blendender Lichtstrahl von oben auf die Kristallschale herab; diese erglüht sodann in leuchtender Purpurfarbe, alles sanft bestrahlend. Amfortas, mit verklärter Miene, erhebt den Gral hoch und schwenkt ihn sanft nach alles Seiten, worauf er damit Brot und Wein segnet. Alles ist auf Knien.

Titurel
O heilige Wonne! Wie hell grüßt uns heute der Herr!

Amfortas setzt den Gral wieder nieder, welcher nun, während die tiefe Dämmerung wieder entweicht, immer mehr erblasst; hierauf schließen die Knaben das Gefäß wieder in den Schrein und bedecken diesen wie zuvor. Hier tritt die frühere Tageshelle wieder ein. Die vier Knaben verteilen während des Folgenden aus den zwei Krügen und Körben Wein und Brot.

Knaben (aus der Höhe)
Wein und Brot des letzten Mahles wandelt‘ einst der Herr des Grales durch des Mitleids Liebesmacht in das Blut, das er vergoss, in den Leib, den dar er bracht‘.

Die vier Knaben, nachdem sie den Schrein verschlossen, nehmen nun die zwei Weinkrüge sowie die zwei Brotkörbe, welche Amfortas zuvor durch das Schwenken des Gralskelches über sie gesegnet hatte, von dem Altartische, verteilen das Brot an die Ritter und , füllen die vor ihnen stehenden Becher mit Wein. Die Ritter lassen sich zum Mahle nieder, so auch Gurnemanz, welcher einen Platz neben sich leer hält und Parsifal durch ein Zeichen zur Teilnehmung am Mahle einlädt; Parsifal bleibt aber starr und stumm, wie gänzlich entrückt, zur Seite stehen.

Jünglinge (aus der mittlerem Höhe der Kuppel)
Blut und Leib der heil’gen Gabe wandelt heut zu eurer Labe sel’ger Tröstung Liebesgeist in den Wein, der euch nun floss, in das Brot, das heut ihr speist.

Die Ritter (erste Hälfte)
Nehmet vom Brot, wandelt es kühn in Leibes Kraft und Stärke; treu bis zum Tod; fest jedem Mühn, zu wirken des Heilands Werke!

Die Ritter (zweite Hälfte)
Nehmet vom Wein, wandelt ihn neu zu Lebens feurigem Blute. Froh im Verein, brudergetreu zu kämpfen mit seligem Mute!

Alle Ritter
Selig im Glauben! Selig im Glauben und Liebe!

Jünglinge und Knaben
Selig im Liebe! Selig im Glauben!

Die Ritter haben sich erhoben und schreiten von beiden Seiten aufeinander zu, um während des Folgenden sich feierlich zu umarmen. Während des Mahles, an welchem er nicht teilnahm, ist Amfortas aus seiner begeisterungsvollen Erhebung allmählich wieder herabgesunken; er neigt das Haupt und hält die Hand auf die Wunde. Die Knaben nähern sich ihm, ihre Bewegungen deuten auf das erneute Bluten der Wunde; sie pflegen Amfortas, geleiten ihn wieder auf die Sänfte, und, während alle sich zum Aufbruch rüsten, tragen sie, in der Ordnung wie sie kamen, Amfortas und den heiligen Schrein wieder von dannen. Die Ritter ordnen sich ebenfalls wieder zum feierlichen Zug und verlassen langsam den Saal. Verminderte Tageshelle tritt ein. Knappen ziehen wieder schnelleren Schrittes durch die Halle. Die letzten Ritter und Knaben haben den Saal verlassen; die Türen werden geschlossen. Parsifal hatte bei dem vorangegangenen stärksten Klagerufe des Amfortas eine heftige Bewegung nach dem Herzen gemacht, welches er krampfhaft eine Zeitlang gefasst hielt; jetzt steht er noch wie erstarrt, regungslos da. Gurnemanz tritt missmutig an Parsifal heran und rüttelt ihn am Arme.

Gurnemanz
Was stehst du noch da? Weißt du, was du sahst?

Parsifal fasst sich krampfhaft am Herzen und schüttelt dann ein wenig mit dem Haupte.
Du bist doch eben nur ein Tor! Er öffnet eine Schmale Seitentür. Dort hinaus, deine Wege zu! Doch rät dir Gurnemanz; lass du hier künftig die Schwäne in Ruh‘ und suche dir, Gänser, die Gans!
Er stößt Parsifal hinaus und schlägt mürrisch hinter ihm die Türe stark zu. Während er dann den Rittern folgt, schließt auf dem letzten Takte mit der Fermata sich der Vorhang.

Eine Altstimme
Durch Mitleid wissend, der reine Tor.

Stimmen (aus der mittleren und höchsten Höhe)
Selig im Glauben!

Glocken

Zweiter Akt – Erste Szene

In Klingsors Zauberschloss
Klingsors Zauberschloss – am Südabhang derselben Gebirge, dem arabischen Spanien zugewandt anzunehmen. Im inneren Verließe eines nach oben offenen Turmes. Steinstufen führen nach dem Zinnenrande der Turmmauer; Finsternis in der Tiefe, nach welcher es von dem Mauervorsprunge, den der Bühnenboden darstellt, hinabführt. Zauberwerkzeuge und nekromantische Vorrichtungen. Klingsor auf dem Mauervorsprunge zur Seite, vor einem Metallspiegel sitzend.

Klingsor
Die Zeit ist da. Schon lockt mein Zauberschloss den Toren, den, kindisch jauchzend, fern ich nahen seh‘ – Im Todesschlafe hält der Fluch sie fest, der ich den Krampf zu lösen weiß. Auf denn! Ans Werk!

Er steigt, der Mitte zu, etwas tiefer herab und entzündet dort Räucherwerk, welches alsbald den Hintergrund mit einem bläulichen Dampf erfüllt. Dann setzt er vor die Zauberwerkzeuge und ruft, mit geheimnisvollen Gebärden, nach dem Abgrunde:

Klingsor
Herauf! Herauf! Zu mir! Dein Meister ruft dich, Namenlose, Urteufelin! Höllenrose! Herodias warst du, und was noch? Gundryggia dort, Kundry hier! Hieher! Hieher denn, Kundry! Dein Meister ruft; herauf!

(In dem bläulichen Lichte steigt Kundry Gestalt herauf. Sie scheint schlafend. Allmählich aber macht sie die Bewegungen einer Erwachenden. Schließlich stößt sie einen grässlichen Schrei aus.)

Erwachst du? Ha! Meinem Banne wieder verfallen heut zur rechten Zeit.

(Kundry lässt ein Klagegeheul, von größter Heftigkeit bis zu bangem Wimmern sich abstufend, vernehmen.)

Sag‘, wo triebst du dich wieder umher? Pfui! Dort bei dem Rittergesipp, wo wie ein Vieh du dich halten lässt! Gefällt dir’s bei mir nicht besser? Als ihren Meister du mir gefangen – haha – den reinen Hüter des Grales – was jagte ich da wieder fort?

Kundry (rauh und abgebrochen, wie im Versuche, wieder Sprache zu gewinnen)
Ach! Ach! Tiefe Nacht! Wahnsinn! Oh! Wut! Ach! Jammer! Schlaf.. schlaf… Tiefer Schlaf! Tod!

Klingsor
Da weckte dich ein And’rer? He?

Kundry
Ja.. mein Fluch! Oh… Sehnen! Sehnen!

Klingsor
Haha! Dort, nach den keuschen Rittern?

Kundry
Da, da, dient‘ ich.

Klingsor
Ja. Ja, den Schaden zu vergüten, den du ihnen böslich gebracht? Sie helfen dir nicht; feil sind sie alle, biet‘ ich den rechten Preis. Der festeste fällt, sinkt er dir in die Arme, und so verfällt er dem Speer, den ihrem Meister selbst ich entwandt.
Den Gefährlichsten gilt’s nun heut zu bestehn; ihn schirmt der Torheit Schild.

Kundry
Ich will nicht. O! O!

Klingsor
Wohl willst du, denn du musst.

Kundry
Du.. kannst mich… nicht… halten.

Klingsor
Aber dich fassen.

Kundry
Du?

Klingsor
Dein Meister.

Kundry
Aus welcher Macht?

Klingsor
Ha! Weil einzig an mir
deine Macht.. nichts vermag.

Kundry (grell lachend)
Haha! Bist du keuch?

Klingsor (wütend)
Was fragest du das, verfluchtes Weib?

Er versinkt in finstres Brüten.

Furchtbare Not! So lacht nun der Teufel mein, dass einst ich nach dem Heiligen rang? Furchtbare Not!
Ungebändigten Sehnens Pein, schrecklichster Triebe Höllendrang, den ich zum Todesschweigen mir zwang –
lacht und höhnt er nun laut
durch dich, des Teufels Braut? Hüte dich! Hohn und Verachtung büßte schon einer; der Stolze, stark in Heiligkeit, der einst mich von sich stieß. Sein Stamm verfiel mir, unerlöst soll der Heiligen Hüter mir schmachten; und bald – so wähn ich – hüt ich mir selbst den Gral – Haha! Gefiel er dir wohl, Amfortas, der Held, den ich zur Wonne dir gesellt?

Kundry
Oh! Jammer! Jammer! Schwach auch er! Schwach.. alle! Meinem Fluche mit mir alle verfallen! Ewiger Schlaf, einziges Heil, wie, wie dich gewinnen?

Klingsor
Ha! Wer dir trotzte, löste dich frei; versuch’s mit dem Knaben, der naht!

Kundry
Ich . . . will nicht!

Klingsor (steigt hastig auf die Tormauer)
Jetzt schon erklimmt er die Burg.

Kundry
Oh! Wehe! Wehe! Erwachte ich darum? Muss ich? Muss?

Klingsor (hinabblickend)
Ha! Er ist schön, der Knabe!

Kundry
Oh! – Oh! Wehe mir!
Klingsor stösst, nach aussen gewandt, in ein Horn.

Klingsor
Ho! Ihr Wächter! Ho! Ritter! Helden! Auf! Feinde nah! Ha! Wie zur Mauer sie stürmen, die betörten Eigenbolde, zum Schutz ihres schönes Geteufels! So! Mutig! Mutig! Haha! Der fürchtet sich nicht!
Dem Helden Ferris entwand er die Waffe; die führt er nun feislich wider den Schwarm.

Kundry gerät in unheimliches ekstatisches Lachen bis zu krampfhaften Wehegeschrei.

Wie übel den Tölpeln der Eifer gedeiht! Dem schlug er den Arm, jenem den Schenkel!

Kundry schreit auf und verschwindet.

Haha! Sie weichen. Sie fliehen.

Das bläuliche Licht ist erloschen; volle Finsternis in der Tiefe, wogegen glänzende Himmelsbläue über der Mauer.

Seine Wunde trägt jeder nach heim! Wie das ich euch gönne! Möge denn so das ganze Rittergezücht unter sich selber sich würgen! Ha! Wie stolz er nun steht auf der Zinne! Wie lachen ihm die Rosen der Wangen, da kindisch erstaunt in den einsamen Garten er blickt!

Er wendet sich nach der Tiefe des Hintergrundes um.

He! Kundry! Wie? Schon am Werk? Haha! Den Zauber wusst‘ ich wohl, der immer dich wieder zum Dienst mir gesellt!

Sich wieder nach außen wendend

Du da, kindischer Spross, was auch Weissagung dich wies, zu jung und dumm fielst du in meine Gewalt; die Reinheit dir entrissen, bleibst mir du zugewiesen!

Zweiter Akt – Zweite Szene

Mädchen vom Garten kommend
Hier war das Tosen! Waffen? Wilde Rufe!

Mädchen vom Schlosse heraus
Wo ist der Frevler? Auf zur Rache!

Einzelne
Mein Geliebter verwundert.

Andere
Wo find ich den meinen?

Andere
Ich erwachte alleine – wohin entflohn sie?

Immer Andere
Wo sind unsre Liebsten? Wir sahn sie im Saale! Oh! Weh! Ach Wehe! Wer ist der Feind?

Sie gewahren Parsifal und zeigen auf ihn

Da steht er! Seht ihn dort! Meines Ferris Schwert in seiner Hand! Ich sah’s! Der stürmte die Burg. Ich hörte des Meisters Horn. Mein Held lief herzu, sie Alle kamen, doch Jeden empfing seine Wehr. Der schlug mir den Liebsten! Noch blutet die Waffe! Du dort! Du dort! Was schufst du uns solche Not? Verwünscht, verwünscht sollst du sein!

Parsifal springt etwas tiefer in den Garten herab. Die Mädchen weichen jäh zurück.

Die Mädchen
Ha! Kühner! Wagst du zu nahen? Was schlugst du unsre Geliebten?

Parsifal voll Verwunderung anhaltend
Ihr schönen Kinder, musst ich sie nicht schlagen? Zu euch, ihr Holden, ja wehrten sie mir den Weg.

Mädchen
Zu uns wolltest du? Sahst du uns schon?

Parsifal
Noch nie sah ich solch zieres Geschlecht:
nenn ich euch schön, dünkt euch das recht?

Die Mädchen
So willst du uns wohl nicht schlagen?

Parsifal
Das möcht ich nicht.

Mädchen
Doch Schaden schufst du uns so vielen, – du schlugest unsre Gespielen: wer spielt nun mit uns?

Parsifal
Das tu ich gern.

Die Mädchen, von Verwunderung in Heiterkeit übergegangen, brechen jetzt in ein lustiges Gelächter aus. – Während Parsifal immer näher zu den aufgeregten Gruppen tritt, entweichen unmerklich die Mädchen der ersten Gruppe und des ersten Chores hinter die Blumenhäge, um ihren Blumenschmuck zu vollenden.

Mädchen
Bist du uns hold, so bleib nicht fern von uns! Und willst du uns nicht schelten, wir werden dir’s entgelten: wir spielen nicht um Gold, – wir spielen um Minnes Sold.
Willst auf Trost du uns sinnen, sollst den du uns abgewinnen!

Die Mädchen der ersten Gruppe und des ersten Chores kommen mit dem Folgenden, ganz in Blumengewändern, selbst Blumen erscheinend, zurück und stürzen sich sofort auf Parsifal.

Die geschmückten Mädchen
Lasset den Knaben! Er gehöret mir! Nein! Nein! Nein! Mir!

Die anderen Mädchen
Ha! Die Falschen! – Sie schmückten heimlich sich.

Während die Zurückgekommenen sich an Parsifal herandrängen, verlassen die Mädchen der zweiten Gruppe und des zweiten Chores hastig die Szene, um sich ebenfalls zu schmücken. – Während des Folgenden drehen sich die Mädchen, wie in anmutigem Kinderspiele, um Parsifal, sanft ihm Wange und Kinn streichelnd.

Die Mädchen
Komm! Komm! Holder Knabe, lass mich dir blühen! Dir zur Wonn und Labe gilt mein minniges Mühen.

Die zweite Gruppe und der zweite Chor kommen, ebenfalls geschmückt, zurück und gesellen sich zum Spiele.

Parsifal heiter ruhig in der Mitte der Mädchen
Wie duftet ihr hold! Seid ihr denn Blumen?

Die Mädchen immer einzeln, bald mehrere zugleich
Des Gartens Zier, und duftende Geister, im Lenz pflückt uns der Meister. Wir wachsen hier in Sommer und Sonne, für dich erblühend in Wonne. Nun sei uns freund und hold, nicht karge den Blumen den Sold! Kannst du uns nicht lieben und minnen, wir welken und sterben dahinnen.

Erstes Mädchen der zweiten Gruppe
An deinen Busen nimm mich!

Erstes Mädchen der ersten Gruppe
Die Stirn lass mich dir kühlen!

Zweites Mädchen der ersten Gruppe
Lass mich die Wange dir fühlen!

Zweites Mädchen der zweiten Gruppe
Den Mund lass mich dir küssen!

Erstes Mädchen der ersten Gruppe
Nein! Ich! Die Schönste bin ich.

Zweites Mädchen der ersten Gruppe
Nein! Ich bin die Schönste!

Erstes und drittes Mädchen der ersten und zweites Mädchen der zweiten Gruppe
Ich bin schöner!

Erstes Mädchen der zweiten Gruppe
Nein! Ich dufte süßer.

Beide Chöre
Nein! Ich! Ja, ich!

Parsifal ihrer anmutigen Zudringlichkeit sanft wehrend
Ihr wild holdes Blumengedränge, soll ich mit euch spielen, entlasst mich der Enge!

Erstes Mädchen der zweiten Gruppe
Was zankest du?

Parsifal
Weil ihr euch streitet.

Erstes Mädchen der ersten und zweites Mädchen der zweiten Gruppe
Wir streiten nur um dich.

Parsifal
Das meidet!

Zweites Mädchen der ersten Gruppe
Du lass von ihm: sieh, er will mich.

Drittes Mädchen der ersten Gruppe
Mich lieber!

Zweites Mädchen der zweiten Gruppe
Nein, lieber will er mich!

Erstes Mädchen der zweiten Gruppe zu Parsifal
Du wehrest mich von dir?

Erstes Mädchen der ersten Gruppe
Du scheuchest mich fort?

Erster Chor
Bist du feige vor Frauen?

Zweite Gruppe und zweiter Chor
Magst dich nicht getrauen?

Erstes Mädchen der ersten und zweiten Gruppe
Wie schlimm bist du, Zager und Kalter!

Erstes Mädchen der ersten Gruppe
Die Blumen lässt du umbuhlen den Falter?

Erster Chor
Auf, weichet dem Toren!

Erste Gruppe
Wir geben ihn verloren.

Zweiter Chor
Doch sei er uns erkoren!

Beide Gruppen und Chöre
Nein, uns! Nein, mir gehört er an! Auch mir! – Nein, uns gehört er an!

Parsifal halb ärgerlich die Mädchen abschreckend
Lasst ab! Ihr fangt mich nicht!

Er will fliehen, als er aus dem Blumenhage Kundrys Stimme vernimmt und betroffen stillsteht.

Kundry
Parsifal! – Weile!

Parsifal
Parsifal? … So nannte träumend mich einst die Mutter.

Die Mädchen sind bei dem Vernehmen der Stimme Kundrys erschrocken und haben sich alsbald von Parsifal zurückgehalten.

Kundry allmählich sichtbar werdend.
Hier weile, Parsifal! Dich grüßet Wonne und Heil zumal. – Ihr kindischen Buhlen, weichet von ihm; früh welkende Blumen, nicht euch ward er zum Spiele bestellt. Geht heim, pfleget der Wunden; einsam erharrt euch mancher Held. –

Die Mädchen entfernen sich jetzt zaghaft und widerstrebend von Parsifal und ziehen sich nach dem Schlosse zu zurück.

Alle Mädchen
Dich zu lassen, dich zu meiden, O wehe! O wehe der Pein! Von Allen möchten gern wir scheiden, mit dir allein zu sein! Leb wohl! Leb wohl! Du Holder! Du Stolzer! Du – Tor!

Mit dem Letzten sind die Mädchen, unter Gelächter, im Schlosse verschwunden.

Parsifal
Dies Alles – hab ich nun geträumt?

Parsifal sieht sich schüchtern nach der Seite hin um, von welcher die Stimme kam. Dort ist jetzt, durch Enthüllung des Blumenhages, ein jugendliches Weib von höchster Schönheit – Kundry, in durchaus verwandelter Gestalt – auf einem Blumenlager, in leicht verhüllender, phantastischer Kleidung – annähernd arabischen Stiles – sichtbar geworden.

Parsifal noch ferne stehend
Riefest du mich Namenlosen?

Kundry
Dich nannt ich, tör’ger Reiner: »Fal-parsi« – Dich reinen Toren: »Parsifal«. So rief, als in arab’schem Land er verschied, dein Vater Gamuret dem Sohne zu, den er, im Mutterschoß verschlossen, mit diesem Namen sterbend grüßte; ihn dir zu künden, harrt ich deiner hier: was zog dich her, wenn nicht der Kunde Wunsch?

Parsifal
Nie sah ich, nie träumte mir, was jetzt ich schau, und was mit Bangen mich erfüllt.
Entblühtest du auch diesem Blumenhaine?

Kundry
Nein, Parsifal, du tör’ger Reiner! Fern – fern – ist meine Heimat. Daß du mich fändest, verweilte ich nur hier; von weither kam ich, wo ich viel ersah. Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust, sein erstes Lallen lacht mir noch im Ohr; das Leid im Herzen, wie lachte da auch Herzeleide, als ihren Schmerzen zujauchzte ihrer Augen Weide! Gebettet sanft auf weichen Moosen, den hold geschläfert sie mit Kosen, dem, bang in Sorgen, den Schlummer bewacht der Mutter Sehnen, den weckt‘ am Morgen der heiße Tau der Muttertränen. Nur Weinen war sie, Schmerzgebahren um deines Vaters Lieb und Tod: vor gleicher Not dich zu bewahren, galt ihr als höchster Pflicht Gebot. Den Waffen fern, der Männer Kampf und Wüten, wollte sie still dich bergen und behüten. Nur Sorgen war sie, ach! und Bangen: nie sollte Kunde zu dir her gelangen. Hörst du nicht noch ihrer Klagen Ruf, wann spät und fern du geweilt? Hei! Was ihr das Lust und Lachen schuf, wann sie suchend dann dich ereilt; wann dann ihr Arm dich wütend umschlang, ward dir es wohl gar beim Küssen bang? Doch, ihr Wehe du nicht vernahmst, nicht ihrer Schmerzen Toben, als endlich du nicht wiederkamst, und deine Spur verstoben. Sie harrte Nächt und Tage, – bis ihr verstummt die Klage, der Gram ihr zehrte den Schmerz, um stillen Tod sie warb: ihr brach das Leid das Herz, und – Herzeleide starb. –

Parsifal immer ernsthafter, endlich furchtbar betroffen, sinkt, schmerzlich überwältigt, bei Kundrys Füßen nieder.
Wehe! Wehe! Was tat ich? – Wo war ich? – Mutter! Süße, holde Mutter! Dein Sohn, dein Sohn musste dich morden! – O Tor! Blöder, taumelnder Tor! Wo irrtest du hin, ihrer vergessend, – deiner, deiner vergessend? Traute, teuerste Mutter!

Kundry
War dir fremd noch der Schmerz, des Trostes Süße labte nie auch dein Herz; das Wehe, das dich reut, die Not nun büße im Trost, den Liebe dir beut.

Parsifal im Trübsinn immer tiefer sich sinken lassend
Die Mutter, – die Mutter – konnt ich vergessen! Ha! – Was Alles vergaß ich wohl noch? Wes war ich je noch eingedenk? – Nur dumpfe Torheit lebt in mir!

Kundry immer noch in liegender Stellung, beugt sich über Parsifals Haupt, fasst sanft seine Stirne und schlingt traulich ihren Arm um seinen Nacken.
Bekenntnis wird Schuld in Reue enden – Erkenntnis in Sinn die Torheit wenden. Die Liebe lerne kennen, die Gamuret umschloss, als Herzeleids Entbrennen ihn sengend überfloss! – Die Leib und Leben einst dir gegeben, der Tod und Torheit weichen muss, – sie heut dir heut – als Muttersegens letzten Gruß, der Liebe ersten Kuss.

Sie hat ihr Haupt völlig über das seinige geneigt, und heftet nun ihre Lippen zu einem langen Kusse auf seinen Mund.

Parsifal fährt plötzlich mit einer Gebärde des höchsten Schreckens auf: seine Haltung drückt eine furchtbare Veränderung aus; er stemmt seine Hände gewaltsam gegen das Herz, wie um einen zerreißenden Schmerz zu bewältigen.
Amfortas! … Die Wunde! – Die Wunde! – Sie brennt in meinem Herzen! – Oh –! Klage! Klage! Furchtbare Klage! Aus tiefstem Herzen schreit sie mir auf. Oh –! Oh –! Elender! Jammervollster! Die Wunde sah ich bluten, – nun blutet sie in mir –! Hier – hier! … Nein! Nein! Nicht die Wunde ist es. Fließe ihr Blut in Strömen dahin! Hier! Hier im Herzen der Brand! Das Sehnen, das furchtbare Sehnen, das alle Sinne mir fasst und zwingt! Oh! – Qual der Liebe! Wie Alles schauert, bebt und zuckt – in sündigem Verlangen!

Während Kundry in Schrecken und Verwunderung auf Parsifal hinstarrt, gerät dieser in völlige Entrücktheit. – Schauerlich leise.

Es starrt der Blick dumpf auf das Heilsgefäß: das heil’ge Blut erglüht; Erlösungswonne, göttlich mild, durchzittert weithin alle Seelen. Nur hier, – im Herzen will die Qual nicht weichen. Des Heilands Klage da vernehm ich, die Klage, ach, die Klage um das entweihte Heiligtum: »Erlöse, rette mich aus schuldbefleckten Händen!« So rief die Gottesklage furchtbar laut mir in die Seele. Und ich … der Tor … der Feige … zu wilden Knabentaten floh ich hin! …

Er stürzt verzweiflungsvoll auf die Knie.

Erlöser! Heiland! Herr der Hulden! Wie büß ich Sünder solche Schuld?

Kundry deren Erstaunen in leidenschaftliche Bewunderung übergegangen, sucht schüchtern sich Parsifal zu nähern.
Gelobter Held! Entflieh dem Wahn! Blick auf, sei hold der Huldin Nah’n!

Parsifal immer in gebeugter Stellung, starr zu Kundry aufblickend, während diese sich zu ihm neigt und die liebkosenden Bewegungen ausführt, die er mit dem Folgenden bezeichnet.
Ja! … diese Stimme … so – rief sie ihm; und diesen Blick – deutlich erkenn ich ihn, – auch diesen, der ihm so friedlos lachte; – die Lippe, ja … so zuckte sie ihm; so neigte sich der Nacken, – so hob sich kühn das Haupt; so flatterten lachend die Locken, so schlang um den Hals sich der Arm; so schmeichelte weich die Wange; mit aller Schmerzen Qual im Bunde, das Heil der Seele entküsste ihm der Mund –! Ha – dieser Kuss! … Verderberin! Weiche von mir! Ewig, ewig von mir!

Parsifal hat sich allmählich erhoben, und stößt Kundry von sich.

Kundry in höchster Leidenschaft
Grausamer! Fühlst du im Herzen nur And’rer Schmerzen, so fühle jetzt auch die meinen! Bist du Erlöser, was bannt dich, Böser, nicht mir auch zum Heil dich zu einen? Seit Ewigkeiten harre ich deiner, des Heilands – ach! – so spät … den einst ich kühn geschmäht. Oh! Kenntest du den Fluch, der mich durch Schlaf und Wachen, durch Tod und Leben, Pein und Lachen, zu neuem Leiden neu gestählt, endlos durch das Dasein quält! Ich sah – Ihn – Ihn – und … lachte: da traf mich … sein Blick! –Nun such ich ihn von Welt zu Welt, ihm wieder zu begegnen. In höchster Not wähn ich sein Auge schon nah, – den Blick schon auf mir ruhn … Da kehrt mir das verfluchte Lachen wieder: ein Sünder sinkt mir in die Arme! – Da lach ich, lache, kann nicht weinen, nur schreien, wüten, toben, rasen in stets erneuter Wahnsinns-Nacht, aus der ich büßend kaum erwacht. Den ich ersehnt in Todesschmachten, den ich erkannt – den blöd Verlachten: lass mich an seinem Busen weinen, nur eine Stunde mit dir vereinen, und ob mich Gott und Welt verstößt in dir entsündigt sein und erlöst!

Parsifal
In Ewigkeit wärst du verdammt mit mir für eine Stunde Vergessens meiner Sendung, in deines Arms Umfangen! Auch dir bin ich zum Heil gesandt, bleibst du dem Sehnen abgewandt. Die Labung, die dein Leiden endet, beut nicht der Quell, aus dem es fließt; das Heil wird nimmer dir gespendet, eh jener Quell sich dir nicht schließt. Ein Andres ist’s, ein Andres, ach! – nach dem ich jammernd schmachten sah; die Brüder dort, in grausen Nöten, den Leib sich quälen und ertöten. Doch, wer erkennt ihn klar und hell, des einz’gen Heiles wahren Quell? Oh, Elend, aller Rettung Flucht! Oh, Weltenwahns Umnachten: in höchsten Heiles heißer Sucht nach der Verdammnis Quell zu schmachten!

Kundry in wilder Begeisterung
So war es mein Kuss, der Welt-hellsichtig dich machte? Mein volles Liebes-Umfangen lässt dich dann Gottheit erlangen. Die Welt erlöse, ist dies dein Amt, schuf dich zum Gott die Stunde, für sie lass mich ewig dann verdammt, nie heile mir die Wunde!

Parsifal
Erlösung, Frevlerin, biet ich auch dir.

Kundry
Lass mich dich Göttlichen lieben, Erlösung gabst du dann auch mir.

Parsifal
Lieb‘ und Erlösung soll dir werden, zeigest du zu Amfortas mir den Weg.

Kundry in Wut ausbrechend
Nie –! sollst du ihn finden! Den Verfall’nen, laß ihn verderben – den Unsel’gen, Schmach-lüsternen, den ich verlachte – lachte – lachte – haha! Ihn traf ja der eigne Speer!

Parsifal
Wer durft ihn verwunden mit der heil’gen Wehr?

Kundry
Er … Er … der einst mein Lachen bestraft … Sein Fluch – ha, mir gibt er Kraft; gegen dich selbst ruf ich die Wehr, gibst du dem Sünder des Mitleids Ehr‘! … Ha … Wahnsinn!
Flehend
Mitleid! Mitleid mit mir! Nur eine Stunde mein! Nur eine Stunde dein … und des Weges sollst du geleitet sein!

Sie will ihn umarmen. Er stößt sie heftig von sich.

Parsifal
Vergeh, unseliges Weib!

Kundry rafft sich mit wildem Wutrasen auf und ruft dem Hintergrunde zu
Hilfe! Hilfe! Herbei! Haltet den Frechen! Herbei! Wehrt ihm die Wege! Wehrt ihm die Pfade! Und flöhest du von hier, und fändest alle Wege der Welt, den Weg, den du suchst, des Pfade sollst du nicht finden: denn Pfad und Wege, die dich mir entführen, so verwünsch ich sie dir! Irre! Irre! mir so vertraut – dich weih ich ihm zum Geleit!

Klingsor ist auf der Burgmauer herausgetreten und schwenkt eine Lanze gegen Parsifal.

Klingsor
Halt da! Dich bann ich mit der rechten Wehr! Den Toren stelle mir seines Meisters Speer!

Er schleudert auf Parsifal den Speer, welcher über dessen Haupte schweben bleibt. Parsifal erfaßt den Speer mit der Hand und hält ihn über seinem Haupte.

Parsifal
Mit diesem Zeichen bann ich deinen Zauber: wie die Wunde er schließe, die mit ihm du schlugest, in Trauer und Trümmer stürz‘ er die trügende Pracht!

Er hat den Speer im Zeichen des Kreuzes geschwungen: wie durch ein Erdbeben versinkt das Schloss. Der Garten ist schnell zu einer Einöde verdorrt; verwelkte Blumen verstreuen sich auf dem Boden. Kundry ist schreiend zusammengesunken. Parsifal hält, im Enteilen, noch einmal an.
Parsifal wendet sich von der Höhe der Mauertrümmer zu Kundry zurück.

Du weißt, wo du mich wiederfinden kannst!

Parsifal enteilt. Kundry hat sich ein wenig erhoben und nach ihm geblickt. Er versinkt schnell mit dem ganzen Turme; zugleich steigt der Zaubergarten auf und erfüllt die Bühne gänzlich. Tropische Vegetation, üppigste Blumenpracht; nach dem Hintergrunde zu Abgrenzung durch die Zinne der Burgmauer, an welche sich seitwärts Vorsprünge des Schlossbaues selbst, arabischen reichen Stiles, mit Terrassen anlehnen. Auf der Mauer steht Parsifal, staunend in den Garten hinabblickend. Von allen Seiten her, zürt aus dem Garten, dann aus dem Palaste, stürzen wirr durcheinander, einzeln, dann zugleich immer mehr schöne Mädchen herein; sie sind mit flüchtig übergeworfenen, zartfarbigen Schleiern verhüllt, wie soeben aus dem Schlafe aufgeschreckt.

Dritter Akt – Erste Szene

Eine Frühlingsaue im Gebiete des Grals
Im Gebiete des Grales. Freie, anmutige Frühlingsgegend mit nach dem Hintergrunde zu sanft ansteigender Blumenaue. Den Vordergrund nimmt der Saum des Waldes ein, der sich nach rechts zu aufsteigendem Felsengrund ausdehnt. Im Vordergrunde, an der Waldseite, ein Quell; ihm gegenüber, etwas tiefer, eine schlichte Einsiedlerhütte, an einen Felsblock gelehnt. Frühester Morgen. Gurnemanz, zum hohen Greise gealtert, als Einsiedler, nur in das Hemd der Gralritter gekleidet, tritt aus der Hütte und lauscht.

Gurnemanz
Von dorther kam das Stöhnen. So jammervoll klagt kein Wild, und gewiss gar nicht am heiligsten Morgen heut.

Dumpfes Stöhnen von Kundrys Stimme

Mich dünkt, ich kenne diese Klageruf.

Er schreitet entschlossen einer Dornenhecke auf der Seite zu; diese ist gänzlich überwachsen; er reisst mit Gewalt das Gestrüpp audeinander, dann hält er plötzlich an.

Ha! Sie! – wieder da? Das winterlich rauhe Gedörn hielt sie verdeckt; wie lang schon?
Auf! Kundry! Auf! Der Winter floh, und Lenz ist da!

Er zieht Kundry, ganz erstarrt und leblos, aus dem Gebüsch hervor und trägt sie auf einen nahen Grashügel.

Erwache! Erwache dem Lenz! Kalt und starr! Diesmal hielt ich sie wohl für tot; doch war’s ihr Stöhnen, was ich vernahm.

Gurnemanz bemüht sich in allem, die Erstarrung von Kundry weichen zu machen. Allmählich scheint das Leben in ihr zu erwachen. Als sie die Augen endlich öffnet, stösst sie einen Schrei aus. Kundry ist in rauhem Büssergewande, ähnlich wie in ersten Aufzuge; nur ist ihre Gesichtsfarbe bleicher; aus Miene und Haltung ist die Wildheit entschwunden. Sie starrt lange Gurnemanz an. Dann erhebt sie sich, ordnet sich Kleidung und lässt sich sofort wie eine Magd zur Bedienung an.

Du tolles Weib! Hast du kein Wort für mich? Ist dies der Dank, dass dem Todesschlafe
noch einmal ich dich entweckt?

Kundry (neigt langsam das Haupt; dann bringt sie, rauh und abgebrochen, hervor)
Dienen . . . dienen!

Gurnemanz den Kopf schüttelnd
Das wird dich wenig mühn! Auf Botschaft sendet sich’s nicht mehr; Kräuter und Wurzeln findet ein jeder sich selbst. Wir lernten’s im Walde vom Tier.

Kundry hat sich währenddem umgesehen, gewahrt die Hütte und geht hinein. Gurnemanz blickt ihr verwundert nach.

Wie anders schreitet sie als sonst! Wirkte dies der heilige Tag? Oh! Tag der Gnade ohnegleichen! Gewiss zu ihrem Heile durft‘ ich der Armen heut den Todesschlaf verscheuchen.

Kundry kommt wieder aus der Hütte; sie trägt einen Wasserkrug und geht damit zur Quelle. Sie gewahrt hier, nach dem Walde blickend, in der Ferne einen Kommenden und wendet sich zu Gurnemanz, um ihn darauf hinzudeuten. Gurnemanz blickt in den Wald. Während des folgenden Auftretens des Parsifal entfernt sich Kundry mit dem gefüllten Kruge in die Hütte, wo sie sich zu schaffen macht.

Wer nahet dort dem heil’gen Quell in düstrem Waffenschmucke? Das ist der Brüder keiner!

Parsifal tritt aus dem Walde auf; er ist ganz in schwarzer Waffenrüstung; mit geschlossenem Helme und gesenktem Speer schreitet er, gebeugsten Hauptes, träumerisch zögernd, langsam daher und setzt sich auf dem kleinen Rasenhügel am Quell nieder. Gurnemanz, nachdem er Parsifal staunend lange betrachtet hat, tritt nun näher zu ihm.

Heil dir, mein Gast! Bist du verirrt, und soll ich dich weisen?

Parsifal schüttelt sanft das Haupt.

Entbietest du mir keinen Gruß?

Parsifal neigt das Haupt.

Hei? – Was? Wenn dein Gelübde dich bindet, mir zu schweigen, so mahnt das meine mich, dass ich dir sage, was sich ziemt. Hier bist du an geweihtem Ort; da zieht man nicht mit Waffen her,
geschlossenen Helmes, Schild und Speer; und heute gar! Weißt du denn nicht, welch heil’ger Tag heut ist?

Parsifal schüttelt mit dem Kopfe.

Ja! Woher kommst du denn? Bei welchen Heiden weiltest du, zu wissen nicht, dass heute der allerheiligste Karfreitag ist?

Parsifal senkt das Haupt noch tiefer.

Schnell ab die Waffen! Kränke nicht den Herrn, der heute, bar jeder Wehr, sein heilig‘ Blut der sündigen Welt zur Sühne bot!

Parsifal erhebt sich nach einem abermaligen Schweigen, stößt den Speer vor sich in den Boden, legt Schild und Schwert davor nieder, öffnet den Helm, nimmt ihm vom Haupte, und legt ihn zu den anderen Waffen, worauf er dann zu stummem Gebete vor dem Speer niederkniet. Gurnemanz betrachtet Parsifal mit Staunen und Rührung. Er winkt Kundry herbei, welche soeben wieder aus der Hütte getreten ist. Parsifal erhebt jetzt seinen Blick andachtsvoll zu der Lanzenspitze auf.

Erkennst du ihn? Der ist’s, der einst den Schwan erlegt.

Kundry bestätigt mit einem leisen Kopfnicken.

Gewiss, s‘ ist er, der Tor, den ich zürnend von uns wies.

Kundry blickt starr, doch ruhig auf Parsifal.

Ha! Welche Pfade fand er? Der Speer – ich kenne ihn.

In großer Ergriffenheit

Oh heiligster Tag, an dem ich heut erwachen sollt‘!

Kundry hat ihr Gesicht abgewendet. Parsifal erhebt sich langsam vom Gebete, blickt ruhig um sich, erkennt Gurnemanz und reicht diesem sanft die Hand zum Gruß.

Parsifal
Heil mir, dass ich dich wiederfinde!

Gurnemanz
So kennst auch du mich noch? Erkennst mich wieder, den Gram und Not so tief gebeugt? Wie kamst du heut? Woher?

Parsifal
Der Irrnis und der Leiden Pfade kam ich; soll ich mich denen jetzt entwunden wähnen, da dieses Waldes Rauschen wieder ich vernehme, dich guten Greisen neu begrüße? Oder – irr‘ ich wieder? Verändert dünkt mich alles.

Gurnemanz
So sag‘, zu wem den Weg du suchtest?

Parsifal
Zu ihm, des tiefe Klagen ich törig staunend einst vernahm, dem nun ich Heil zu bringen
mich auserlesen wähnen darf. Doch – ach! – den Weg des Heiles nie zu finden, in pfadlosen Irren trieb ein wilder Fluch mich umher; zahllose Nöte, Kämpfe und Streite
zwangen mich ab vom Pfade, wähnt‘ ich ihn recht schon erkannt. Da musste mich Verzweiflung fassen, das Heiltum heil mir zu bergen, um das zu hüten, das zu wahren
ich Wunden jeder Wehr mir gewann; denn nicht ihn selber durft‘ ich führen im Streite;
unentweiht führ ich ihn mir zur Seite, den ich nun heim geleite, der dort dir schimmert heil und hehr; des Grales heil’gen Speer.

Gurnemanz in höchstes Entzücken ausbrechend
O Gnade! Höchstes Heil! O Wunder! Heilig hehrstes Wunder! O Herr! War es ein Fluch,
der dich von rechten Pfad vertrieb, so glaub‘, er ist gewichen. Hier bist du; dies des Grals Gebiet, dein harret seiner Ritterschaft. Ach, sie bedarf des Heiles, des Heiles, das du bringst! Seit dem Tage, den du hier geweilt, die Trauer, so da kund dir ward, das Bangen – wuchs zur höchsten Not. Amfortas, gegen seiner Wunde, seiner Seele Qual sich wehrend, begehrt‘ in wütendem Trotze nur den Tod. Kein Flehn, kein Elend seiner Ritter bewog ihn mehr, des heil’gen Amts zu walten. Im Schrein verschlossen bleibt seit lang‘ der Gral; so hofft sein sündenreu’ger Hüter, da er nicht sterben kann, wann je er ihn erschaut, sein Ende zu erzwingen und mit dem Leben seine Qual zu enden. Die heil’ge Speisung bleibt uns nun versagt, gemeine Atzung muss uns nähren; darob versiegte uns’rer Helden Kraft. Nie kommt uns Botschaft mehr, noch Ruf zu heil’gen Kämpfen aus der Ferne; bleich und elend wankt umher die mut- und führerlose Ritterschaft. In dieser Waldeck‘ barg ich selber mich, des Todes still gewärtig, dem schon mein alter Waffenherr verfiel. Denn Titurel, mein heil’ger Held, den nun des Grales Anblick nicht mehr labte, er starb – ein Mensch wie alle!

Parsifal vor großen Schmerz sich aufbäumend
Und ich, ich bin’s, der all dies Elend schuf! Ha! Welcher Sünden, welches Frevels Schuld
muss dieses Torenhaupt seit Ewigkeit belasten, da keine Buße, keine Sühne der Blindheit mich entwindet, zur Rettung selbst ich auserkoren, in Irrnis wild verloren der Rettung letzter Pfad mir schwindet!

Parsifal droht ohnmächtig umzusinken. Gurnemanz hält ihn aufrecht und senkt ihn zum Sitze auf den Rasenhügel nieder. Kundry holt hastig ein Becken mit Wasser, Parsifal damit zu besprengen.

Gurnemanz
Die heil’ge Quelle selbst erquicke unsres Pilgers Bad. Mir ahnt, ein hohes Werk hab‘ er noch heut zu wirken, zu walten eines heil’gen Amtes; so sei er fleckenrein, und langer Irrfahrt Staub soll nun von ihm gewaschen sein.

Parsifal wird von den beiden sanft zum Rande des Quelles gewendet. Unter dem Folgenden löst ihm Kundry die Beinschienen, Gurnemanz aber nimmt ihm den Brustharnisch ab.

Parsifal
Werd‘ heut zu Amfortas ich noch geleitet?

Gurnemanz
Gewisslich; unsrer harrt die hehre Burg; die Totenfeier meines lieben Herrn, sie ruft mich selbst dahin. Den Gral noch einmal uns da zu enthüllen, des lang versäumten Amtes noch einmal heut zu walten – zur Heiligung des hehren Vaters, der seines Sohnes Schuld erlag, die der nun also büßen will – gelobt‘ Amfortas uns.

Kundry badet Parsifal mit demutsvollem Eifer die Füße. Parsifal blickt mit stiller Verwunderung auf sie.

Parsifal zu Kundry
Du wuschest mir die Füße, nun netze mir das Haupt der Freund.

Gurnemanz schöpft mit der Hand aus dem Quell und besprengt Parsifals Haupt.

Gurnemanz
Gesegnet sei, du Reiner, durch das Reine! So weiche jeder Schuld Bekümmernis von dir!

Während Gurnemanz feierlich das Wasser sprengt, zieht Kundry ein goldenes Fläschchen aus ihren Busen und gießt seinen Inhalt auf Parsifals Füße aus; jetzt trocknet sie diese mit ihren schnell aufgelösten Haaren.

Parsifal nimmt Kundry sanft das Fläschchen ab und reicht es Gurnemanz
Du salbtest mir die Füße, das Haupt nun salbe Titurels Genoss, dass heut noch als König er mich grüße!

Gurnemanz schüttelt mit dem Folgenden das Fläschchen vollends auf Parsifals Haupt aus, reibt dieses sanft und faltet dann die Hände darüber.

Gurnemanz
So ward es uns verhießen; so segne ich dein Haupt, als König dich zu grüßen. Du – Reiner! – Mitleidsvoll Duldender, heiltatvoll Wissender! Wie des Erlösten Leiden du gelitten, die letzte Last entnimm nun seinem Haupt!

Parsifal schöpft unvermerkt Wasser aus dem Quell.

Parsifal
Mein erstes Amt verricht‘ ich so;

Er neigt sich zu der vor ihm noch knienden Kundry und netzt ihr das Haupt.

Die Taufe nimm und glaub‘ an den Erlöser!

Kundry senkt das Haupt tief zur Erde; sie scheint heftig zu weinen. Parsifal wendet sich um und blickt mit sanfter Entzückung auf Wald und Wiese, welche jetzt im Vormittagslichte leuchten.

Wie dünkt mich doch die Aue heut so schön! Wohl traf ich Wunderblumen an, die bis zum Haupte süchtig mich umrankten; doch sah ich nie so mild und zart die Halme, Blüten und Blumen, noch duftet‘ all so kindisch hold und sprach so lieblich traut zu mir.

Gurnemanz
Das ist… Karfreitagszauber, Herr!

Parsifal
O wehe des höchsten Schmertzentags! Da sollte, wähn‘ ich, was da blüht, was atmet, lebt und wieder lebt, nur trauern, ach! und weinen!

Gurnemanz
Du siehst, das ist nicht so. Des Sünders Reuetränen sind es, die heut mit heil’gem Tau
beträufet Flur und Au‘; der ließ sie so gedeihen. Nun freut sich alle Kreatur auf des Erlösers holder Spur, will ihr Gebet ihm weihen. Ihn selbst am Kreuze kann sie nicht erschauen; da blickt sie zum erlösten Menschen auf; der fühlt sich frei von Sündenlast und Grauen, durch Gottes Liebesopfer rein und heil. Das merkt nun Halm und Blume auf den Auen, dass heut des Menschen Fuß sie nicht zertritt, doch wohl, wie Gott mit himmlischer Geduld sich sein erbarmt‘ und für ihn litt, der Mensch auch heut in frommer Huld sie schont mit sanftem Schritt. Das dankt dann alle Kreatur, was all da blüht und bald erstirbt da die entsündigte Nature heut ihren Unschuldstag erwirbt.

Kundry hat langsam wieder das Haupt erhoben und blickt feuchten Auges, ernst und ruhig bittend, zu Parsifal.

Parsifal
Ich sah sie welken, die einst mir lachten; ob heut sie nach Erlösung schmachten?
Auch deine Träne ward zum Segenstaue; du weinest! Sieh! Es lacht die Aue.

Er küsst sie sanft auf die Stirne. Glockengeläute aus weiter Ferne.

Gurnemanz
Mittag. Die Stund‘ ist da.

 

Dritter Akt – Zweite Szene

In der Gralsburg
Gurnemanz hat seinen Gralsrittermantel herbeigeholt; er und Kundry bekleiden Parsifal damit. Parsifal ergreift feierlich den Speer und folgt mit Kundry dem langsam geleitenden Gurnemanz. Die Gegend verwandelt sich sehr allmählich, ähnlicherweise wie im ersten Aufzuge, nur von rechts nach links. Nachdem die drei eine Zeitlang sichtbar geblieben, verschwinden sie gänzlich, als der Wald sich immer mehr verliert und dagegen Felsengewölbe näher rücken. In gewölbten Gängen stets anwachsend vernehmbares Geläute. Es öffnen sich die Felsenwande, und die grosse Gralshalle, wie im ersten Aufzuge, nur ohne die Speisetafeln, stelelt sich wieder dar. Düstere Beleuchtung. Von der ersten Seite ziehen die Titurels Leiche im Sarge tragenden Ritter herein, von der anderen Seite die Amfortas im Siechbette geleitenden, vor diesem der verhüllte Schrein mit dem Grale.

Erster Zug der Ritter
Geleiten wir im bergenden Schrein den Gral zum heiligen Amte, wen berget ihr in düst’ren Schrein und führt ihr trauernd daher?

Zweiter Zug der Ritter
Es birgt den Helden der Trauerschrein, er birgt die heilige Kraft, der Gott einst selbst zur Pflege sich gab; Titurel führen wir hier.

Erster Zug der Ritter
Wer hat ihn gefällt, der, in Gottes Hut, Gott selbst einst beschirmte?

Zweiter Zug der Ritter
Ihn fällte des Alters siegende Last, da den Gral er nicht mehr erschaute.

Erster Zug der Ritter
Wer wehrt ihm des Grales Huld zu erschauen?

Zweiter Zug der Ritter
Den dort ihr geleitest, der sündige Hüter.

Erster Zug der Ritter
Wir geleiten ihn heut, weil heut noch einmal – zum letzten Male – will des Amtes er walten. Ach, zum letzten Mal!

Amfortas ist jetzt auf das Ruhebett hinter dem Gralstische niedergelassen, der Sarg davor niedergesetzt worden; die Ritter wenden sich an ihn.

Zweiter Zug der Ritter
Wehe! Wehe! Der Hüter des Grals! Ach, zum letzten Mal, sei deines Amtes gemahnt!
Zum letzten Mal! Zum letzten Mal!

Amfortas
Ja, wehe, wehe! Weh‘ über mich! So ruf‘ ich willig mit euch, williger nähm‘ ich von euch den Tod, der Sünde mildeste Sühne!

Der Sarg wird geöffnet – Beim Anblick der Leiche Titurels bricht alles in einen jähen Wehruf aus. Amfortas richtet sich hoch von seinem Lager und wendet sich zur Leiche.

Mein Vater! Hochgesegneter der Helden! Du Reinster, dem einst die Engel sich neigten;
der einzig ich sterben sollt‘, dir – gab ich den Tod! O! Der du jetzt in göttlichen Glanz
den Erlöser selbst erschaust, erflehe von ihm, dass sein heiliges Blut, wenn noch einmal heut sein Segen die Brüder soll erquicken, wie ihnen neues Leben mir endlich spende – den Tod! Tod! Sterben! Einz’ge Gnade! Die schreckliche Wunde, das Gift, ersterbe, das es zernagt, erstarre das Herz! Mein Vater! Dich – ruf‘ ich, rufe du ihm es zu; Erlöser, gib meinem Sohne Ruh‘!

Ritter sich näher an Amfortas herandrängend
Enthüllet den Gral! Walte des Amtes! Dich mahnet dein Vater; du musst! Du musst!

Amfortas springt in wütender Verzweiflung auf und stürzt sich unter die zurückweichenden Ritter.

Amfortas
Nein! Nicht mehr! Ha! Schon fühl‘ ich den Tod mich umnachten und noch einmal sollt‘ ich ins Leben zurück? Wahnsinnige! Wer will mich zwingen zu leben? Könnt ihr doch Tod mir nur geben!

Er reißt sich das Gewand auf

Hier bin ich – die offne Wunde hier! Das mich vergiftet, hier fließt mein Blut. Heraus die Waffe! Taucht eure Schwerter, tief – tief, bis ans Heft! Auf! Ihr Helden! Tötet den Sünder mit seiner Qual, von selbst dann leuchtet euch wohl der Gral!

Alles ist scheu vor Amfortas gewichen. Parsifal ist, von Gurnemanz und Kundry begleitet, unvermerkt unter den Rittern erschienen, tritt hervor und streckt den Speer aus, mit dessen Spitze er Amfortas‘ Seite berührt.

Parsifal
Nur eine Waffe taugt – die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug.

Amfortas‘ Miene leuchtet in heiliger Entzückung auf; er scheint vor größter Ergriffenheit zu schwanken; Gurnemanz stützt ihn.

Sei heil, entsündigt und gesühnt! Denn ich verwalte nun dein Amt. Gesegnet sei dein Leiden, das Mitleids höchste Kraft, und reinsten Wissens Macht dem zagen Toren gab!

Parsifal schreitet nach der Mitte, den Speer hoch vor sich erhebend.

Den heil’gen Speer – ich bring‘ ihn euch zurück!

Alles blickt in höchster Entzückung auf den emporgehaltenen Speer, zu dessen Spitze aufschauend Parsifal in Begeisterung fortfährt.

O! Welchen Wunders höchstes Glück! Der deine Wunde durfte schließen, ihm seh‘ ich heil’ges Blut entfließen in Sehnsucht nach dem verwandten Quelle, der dort fließt in des Grales Welle. Nicht soll der mehr verschlossen sein; enthüllet den Gral, öffnet den Schrein!

Parsifal besteigt die Stufen des Weihtisches, entnimmt dem von den Knaben geöffneten Schrein den Gral und versenkt sich, unter stummem Gebet, kniend in seinen Anblick. Allmähliche sanfte Erleuchtung des Grales. Zunehmende Dämmerung in der Tiefe, bei wachsendem Lichtschrein aus der Höhe.

Knaben, Jünglinge und Ritter mit stimmen aus der mittleren sowie der obersten Höhe kaum hörbar leise
Höchsten Heiles Wunder! Erlösung dem Erlöser!

Lichtstrahl; hellstes Erglühen des Grales. Aus der Kuppel schwebt eine weiße Taube herab und verweilt über Parsifals Haupt. Kundry sinkt, mit dem Blicke zu ihm auf, langsam vor Parsifal entseelt zu Boden. Amfortas und Gurnemanz huldigen kniend Parsifal, welcher den Gral segnend über die anbetende Ritterschaft schwingt.