Der Fliegende Holländer

Flucht aus Riga

Von Pillau nach London

Die um mehrere Tage sich verspätende Abfahrt des Pillauer Schiffes musste uns unter diesen Umständen, wegen der hierdurch gewährten Frist für Minna’s Erholung, sehr willkommen sein. Da der Capitän uns ohne Pass aufzunehmen hatte, war endlich auch die Besteigung seines Schiffes für uns wiederum von besondrer Schwierigkeit. Wir mussten noch vor dem Tagesgrauen uns auf einem Boote heimlich durch die Hafenwache an Bord unsres Schiffes zu schleichen suchen; dort angelangt und nachdem wir Robber ebenfalls mit großer Mühe, ohne Aufsehen zu erregen, die steile Schiffswand hinaufgezogen hatten, mussten wir uns sofort in einem unteren Raum verbergen, um von den vor der Abfahrt das Schiff noch besuchenden Visitatoren nicht bemerkt zu werden. Endlich war der Anker gelichtet, und während wir allmählich das Land aus dem Auge verloren, glaubten wir nun aufathmen und uns beruhigt fühlen zu dürfen.

Wir waren am Bord eines Kaufmannschiffes von kleinster Gattung; es hieß Thetis, hatte das Brustbild der Nymphe an der Puppe aufgesteckt, und war, den Kapitän eingerechnet, von sieben Männern bedient. Man war der Meinung, bei gutem Wetter, wie es im Sommer zu erwarten stand, die Fahrt nach London in acht Tagen zu bestehen. Schon auf der Ostsee waren wir durch anhaltende Windstille jedoch lange zurückgehalten; ich benutzte die Musse, um meine Kenntniss des Französischen durch das Studium eines Romans von G. Sand, »la dernière Aldini«, näher zu begründen. Ausserdem gewährte uns der Umgang mit den Schiffsleuten manche Unterhaltung. Ein sonderlich schweigsamer älterer Matrose, mit Namen Koske, ward von uns viel beobachtet, namentlich der unversöhnlichen Abneigung wegen, welche der sonst so gutmüthige Robber gegen ihn gefasst hatte, und welche uns in der Stunde der Gefahr noch eine lächerliche Noth machen sollte. – Nach siebentägiger Fahrt gelangten wir erst vor Kopenhagen an, wo wir, ohne das Schiff zu verlassen, die Gelegenheit wahrnahmen, unsre sehr spärliche Schiffskost durch Einnahme verschiedener Nahrungsmittel und Getränke erträglicher zu machen. Guten Muthes fuhren wir so an dem schönen Schlosse von Helsingör vorbei, dessen Anblick mich in unmittelbare Berührung mit meinen Jugendeindrücken von Hamlet setzte, und segelten nun hoffnungsvoll durch das Kattegat dem Skagerrack zu, als der anfänglich nur ungünstige Wind, welcher uns zu mühseligem Laviren genöthigt hatte, am zweiten Tag dieser neuen Fahrt in einen heftigen Sturm umschlug. Volle 24 Stunden hatten wir unter für uns ganz neuen Leiden gegen ihn zu kämpfen. In die jämmerlich enge Kajüte des Kapitäns eingepfercht, ohne eigentliches Lager für eines von uns Beiden, waren wir der Seekrankheit und allen Aengsten preisgegeben. Zum Unglück war das Branntweinfass, aus welchem die Mannschaft sich während der harten Arbeit zu stärken hatte, in einer Vertiefung unter der Bank, auf welche ich mich ausgestreckt hielt, angebracht; hier war es nun Koske, welcher sich am häufigsten zu der mich so belästigenden Stärkung einfand, trotzdem er jedesmal einen Kampf auf Leben und Tod mit Robber zu bestehen hatte, welcher ihn einzig mit stets erneueter Wuth anfiel, sobald er die enge Treppe herabgeklettert kam, was mir, dem von der Seekrankheit gänzlich Erschöpften, jedesmal eine mein Uebelbefinden zu den bedenklichsten Katastrophen steigernde Anstrengung abnöthigte. Endlich, am 27. Juli, sah der Kapitän bei heftig stürmendem Westwind sich gezwungen, einen Hafen der norwegischen Küste aufzusuchen. Mit tröstlichem Gefühle gewahrte ich das weithin sich dehnende felsige Ufer, dem wir mit grosser Schnelligkeit zugetrieben wurden, und nachdem nun ein norwegischer Lootse, der auf einem kleinen Boot uns entgegengekommen war, mit kundiger Hand das Steuer der Thetis übernommen hatte, erlebte ich bald einen der wunderbarsten und schönsten Eindrücke meines Lebens. Was ich für eine zusammenhängende Uferfelsenkette gehalten hatte, zeigte sich bei unsrer Annäherung zunächst als eine Reihe einzelner, aus der See hervorragender Felsenkegel; an ihnen vorbeigesegelt, erkannten wir, dass wir nicht nur vor uns, wie zur Seite, sondern auch im Rücken von diesen Riffen umgeben waren, welche sich hinter uns wieder so dicht zusammendrängten, dass sie eine einzige Felsenkette zu bilden schienen. Zugleich brach an diesen rückwärts gelegenen Felsen der Sturmwind sich der Art, dass, je weiter wir mit der Fahrt durch dieses stets wechselnde Labyrinth von Felsenkegeln vordrangen, die See immer ruhiger und endlich, bei der Einfahrt in einer jener langen Wasserstrassen durch ein riesiges Felsthal, als welches sich ein norwegisches Fiord mir darstellte, völlig glatt und ruhig das Schiff dahinfuhr.

Ein unsägliches Wohlgefühl erfasste mich, als das Echo der ungeheuren Granitwände den Schiffsruf der Mannschaft zurückgab, unter welchem diese den Anker warf und die Segel aufhisste. Der kurze Rythmus dieses Rufes haftete in mir wie eine kräftig tröstende Vorbedeutung, und gestaltete sich bald zu dem Thema des Matrosen-Liedes in meinem » fliegenden Holländer«, dessen Idee ich damals schon mit mir herumtrug und nun unter den soeben gewonnenen Eindrücken eine bestimmte poetisch-musikalische Farbe gewann. Hier gingen wir denn auch an’s Land. Ich erfuhr, dass der kleine Fischerort, der uns aufnahm, Sandwike hiess und einige Meilen von dem grösseren Orte Arendal abgelegen sei. Das Haus eines verreisten Schiffskapitäns nahm uns zu unsrer Erholung auf, und der in offener See fortwährende stürmische Wind hielt uns hier zwei Tage lang zurück, deren wir zu unsrer Erholung sehr wohl bedurften. Am 31. Juli bestand der Kapitän, trotzdem der Lootse davon abrieth, auf der Wiederausfahrt. Wiederum am Bord der Thetis, verzehrten wir soeben zum ersten Mal in unsrem Leben einen Hummer, als sich wenige Stunden nach der Abfahrt ein heftiges Fluchen des Kapitäns und der Mannschaft gegen den Lootsen erhob, welchen ich mit starrer Angst am Steuer sich bemühen sah, einem nur schwach aus der See hervorstehenden Felsenriff auszuweichen, auf das das Schiff zutrieb. Unser Schreck war gross, als wir den leidenschaftlichen Tumult gewahrten und nicht anders glauben konnten, als dass wir in äusserster Gefahr seien. Wahrlich erhielt das Schiff einen starken Stoss, welcher in meiner Einbildung blitzesschnell als ein gänzliches Bersten des Schiffes erschien; glücklicherweise fand sich aber, dass unser Schiff das Riff nur von der Seite gestreift hatte, und eine augenblickliche Gefahr keineswegs vorhanden war. Dennoch sah sich der Kapitän veranlasst, nach einem Hafen zurückzusteuern, um das Schiff der nöthigen Untersuchung zu unterwerfen. An einem andern Küstenpunkte zurückgekehrt, ward abermals Anker geworfen und der Kapitän lud uns ein, in einem kleinen Boot mit ihm und zwei Matrosen nach dem einige Stunden entfernten grösseren Ort Tromsond zu fahren, wo er die Hafenbehörden zur Untersuchung seines Schiffes zu requiriren hatte. Diese Spazierfahrt war wiederum im höchsten Grad anziehend und eindrucksvoll; namentlich der Einblick in einen weit in das Land sich hineinziehenden Fiord erfüllte meine Phantasie mit dem Eindruck einer noch ungekannten, grauenvoll erhabenen Oede. Ein grösserer Spaziergang von Tromsond auf die Hochebne vervollständigte diesen Eindruck, durch die furchtbare Melancholie dieser schwarzen Moorhaiden, welche ohne Baum, ja ohne Strauch, höchstens von dürftigem Moos bedeckt, sich am Horizont in dem düstren Himmel mit ununterscheidbarer Färbung verloren. Von diesem Ausflug, zur grössten Beängstigung meiner Frau, in später Nacht auf dem kleinen Boote zurückgekehrt, konnten wir endlich, am andern Morgen über die Ungefährlichkeit der Beschädigung des Schiffes beruhigt, am 1. August bei gutem Winde unbehindert von Neuem in See gehen.

Nach vier Tagen ruhiger Fahrt stellte sich ein stürmischer Nordwind ein, welcher uns in günstiger Richtung mit ungemeiner Schnelle vorwärts trieb. Schon glaubten wir die Reise bald überstanden zu haben, als am 6. August Abends die günstige Wind-Richtung umschlug, und zugleich der Sturm mit unerhörter Heftigkeit zunahm. Es war eines Mittwochs am 7., Mittags halb 3 Uhr, wo wir jeden Augenblick unsren Tod voraussehen zu müssen glaubten. Nicht die furchtbare Gewalt, mit welcher das Schiff auf und ab geschleudert wurde, und gänzlich richtungslos dem bald als tiefsten Abgrund, bald als steile Berghöhe sich darstellenden Meerungethüm preisgegeben war, erweckte in mir das Todesgrauen, sondern was mich mit dem Gefühl der verhängnissvollen Entscheidung erfüllte, war die Muthlosigkeit der Mannschaft, unter welcher ich verzweiflungsvoll boshafte Blicke wahrnahm, mit denen wir von ihnen abergläubischer Weise als die Ursache des drohenden Seeunglücks bezeichnet zu werden schienen. Nicht unterrichtet von der so geringfügigen Veranlassung zur Verheimlichung unsrer Reise, mochte den Leuten der Gedanke beikommen, dass es mit unsrer Nöthigung zur Flucht eine bedenkliche, gar wohl verbrecherische Bewandtniss haben möge. Selbst der Kapitän schien es in der äussersten Drangsal bereuen zu wollen, uns an Bord genommen zu haben, da wir ihm, der so oft diese Fahrt – namentlich im Sommer – in kurzer Zeit und ohne alle Beschwerde zurückgelegt hatte, für diesmal offenbar Unglück gebracht hätten. Da auch eben um die genannte Tageszeit zugleich mit dem Sturm ein heftiges Gewitter am Himmel tobte, sprach Minna den eifrigen Wunsch aus, lieber vom Blitz zerschmettert mit mir umzukommen, als in die fürchterliche Wasserfluth lebend zu versinken. Auch bat sie mich, sie mit einigen Tüchern an mich anzubinden, damit wir beim Versinken nicht getrennt werden möchten. Noch eine ganze Nacht verbrachten wir unter diesen andauernden, nur durch die schrecklichste Ermüdung sich abschwächenden Aengsten. Andern Tages hatte sich nun der Sturm gelegt, der Wind blieb ungünstig, war aber schwach; der Kapitän bemühte sich, mit seinen astronomischen Instrumenten sich darüber genau zu orientiren, wo wir uns befänden; er klagte über den nun bereits so viele Tage stets getrübten Himmel, betheuerte, um einen einzigen Sonnen- oder Sternenblick viel geben zu mögen, und verbarg seine Unruhe nicht, die er darüber empfand, dass er die Meeresstelle, wo wir uns befanden, nicht mit Sicherheit angeben könne. Doch folgte er zu seinem Troste einem in der Entfernung einiger Seemeilen in der gleichen Richtung vor uns segelnden Schiff, dessen Bewegungen er anhaltend mit grosser Aufmerksamkeit durch das Fernrohr beobachtete. Plötzlich sprang er im heftigen Schrecken auf, und commandirte mit leidenschaftlichem Eifer eine Veränderung der Schiffsrichtung. Er hatte wahrgenommen, dass das vor uns segelnde Schiff auf eine Sandbank getrieben war, von welcher, wie er behauptete, es nicht wieder loszukommen vermögen würde, da er nun genau inne geworden, dass wir uns in der Nähe des gefahrvollsten Theiles der die holländische Küste weithin einfassenden Sandbänke befanden. Mit geschicktester Benutzung der Segel gelang es nun andauernd die entgegengesetzte Richtung auf die englische Küste einzuhalten, welche wir wirklich am 9. August Abends in der Nähe von Southwould zu Gesicht bekamen. Als wir von dort her schon in weiter Ferne die Jagd der Lootsen auf unser Schiff bemerkten, welche an der englischen Küste freie Concurrenz unter sich halten und desshalb selbst unter den grössten Wagnissen so weit wie möglich den nahenden Schiffen entgegensegeln, erfüllte sich mein Blut mit angenehmer neuer Lebenswärme. Es gelang einem grauköpfigen kräftigen Manne, jedoch erst nach wiederholten vergeblichen Anstrengungen gegen die tobenden Wellen, welche sein leichtes Boot immer wieder von unsrem Schiffe zurückwarfen, endlich mit bluttriefenden Händen, wie sie ihm das herabgeworfene Tau, welches wiederholt seiner Faust entglitt, zerfetzt hatte, an Bord der » Thetis« zu gelangen. So hiess nämlich immer noch unser armseliges, vielgeprüftes Schiff, trotzdem bereits der erste Sturm im Kattegat das tröstliche Holz-Brustbild der schützenden Nymphe in die Wellen geschleudert hatte, was damals bereits von der Mannschaft als ein übles Vorzeichen gedeutet worden war. Das Steuerruder jetzt in der sichern Hand des ruhigen, durch seine ganze Persönlichkeit höchst wohlthätig auf uns wirkenden englischen Seemannes zu wissen, und in ihm die unfehlbare Bürgschaft baldiger Erlösung aus den schrecklichen Drangsalen zu erkennen, erfüllte uns mit religiösem Wohlgefühl. Noch waren wir aber keineswegs so weit; denn nun begann erst die von zahllosen Gefahren begleitete Fahrt durch die Sandbänke der englischen Küste entlang, auf welchen jährlich, wie man mir versicherte, durchschnittlich gegen 400 Schiffe zu Grunde gehen. Wir hatten volle 24 Stunden, vom Abend des 10. bis zum Abend des 11. August, innerhalb dieser Sandbänke einen heftigen Weststurm zu bestehen, welcher uns so sehr am Vorwärtskommen hinderte, dass wir erst in der Nacht zum 12. August in die Mündung der Themse einliefen. Bis dahin hatten die unzähligen verschiedenartigen Warnungszeichen, meistens aus kleinen hellroth gefärbten und mit fast ununterbrochen, des Nebels wegen, läutenden Glocken versehenen Wachtschiffen bestehend, namentlich auf die geängstete Einbildungskraft meiner Frau so aufregend gewirkt, dass sie bei Tag und Nacht, nach ihnen ausspähend und die Mannschaft darauf hindeutend, nicht ein Auge schloss, während auf mich im Gegentheil diese Zeichen der rettenden menschlichen Nähe so beruhigend wirkten, dass ich, trotz der lebhaften Vorwürfe Minna’s, hierüber, mich einem langen erquickenden Schlafe hingab. Als wir nun, an der Themse-Mündung geankert, ruhig den Anbruch des Tages erwarteten, gab ich, während Minna mit der ganzen ermüdeten Mannschaft zugleich im tiefen Schlafe sich ausruhte, mich einem übermüthigen Behagen hin, besorgte meine Kleidung, versah mich mit frischer Wäsche, und rasirte mich auf offenem Deck am Schiffsmast, mit wachsender Spannung der zunehmenden Regsamkeit auf der berühmten Flussstrasse zusehend. Die Sehnsucht nach völliger Erlösung aus dem so widerwärtig gewordenen Schiffsgefängnisse veranlasste uns, nachdem die Fahrt stromaufwärts langsam wieder begonnen, von einem vorbeifahrenden Dampfschiff bei Gravesend, zur Beschleunigung der Ankunft in London, uns aufnehmen zu lassen. Die Annäherung an London auf dem immer dichter mit Schiffen aller Art bedeckten Strome, durch die von Häusern und Strassen, den berühmten Docks und andren maritimen Construktionen immer reicher besetzten Ufer, brachte uns in zunehmendes Erstaunen, und als wir endlich an der Londoner Brücke, mitten in dem unabsehbar angehäuften Leben dieses unvergleichlichen Weltplatzes angekommen, hier nach mehr als dreiwöchentlicher schrecklicher Seefahrt zum ersten Mal wieder den Fuss auf das feste Land setzten, erfasste uns, wie an und für sich der an die schwankende Schiffsbewegung gewöhnte Schritt uns wie im Taumel dahinführte, in dem unerhörten Tumult der lärmendsten Umgebung ein freudig behaglicher Schwindel, von dem namentlich auch Robber ergriffen schien, welcher wie besessen an den Straßenecken dahinsprang und uns jeden Augenblick verloren zu gehen schien.