Entstehung

Die Meistersinger von Nürnberg

Nachdem der „Tannhäuser“ unter vielfältigen Strapazen vollendet war, suchte sich der Schaffensdrang Richard Wagners neue Wege.

Sogleich nach dem Schlusse dieser Arbeit (des Tannhäusers) war es mir vergönnt, zu meiner Erholung eine Reise in ein böhmisches Bad zu machen. Hier, wie jedesmal wenn ich mich der Theaterlampenluft und meinem »Dienste« in ihrer Atmosphäre entziehen konnte, fühlte ich mich bald leicht und fröhlich gestimmt; zum ersten Male machte sich eine, meinem Charakter eigentümliche Heiterkeit, auch mit künstlerischer Bedeutung merklich bei mir geltend. Mit fast willkürlicher Absichtlichkeit hatte ich in der letzten Zeit mich bereits dazu bestimmt, mit Nächstem eine komische Oper zu schreiben; ich entsinne mich, dass zu dieser Bestimmung namentlich der wohlgemeinte Rat guter Freunde mitgewirkt hatte, die von mir eine Oper „leichteren Genre’s“ verfaßt zu sehen wünschten, weil diese mir den Zutritt zu den deutschen Theatern verschaffen, und so für meine äußeren Verhältnisse einen Erfolg herbeiführen sollte, dessen hartnäckiges Ausbleiben diese allerdings mit einer bedenklichen Wendung zu bedrohen begonnen hatte. Wie bei den Athenern ein heiteres Satyrspiel auf die Tragödie folgte, erschien mir auf jener Vergnügungsreise plötzlich das Bild eines komischen Spieles, das in Wahrheit als beziehungsvolles Satyrspiel meinem »Sängerkriege auf Wartburg« sich anschließen konnte. Es waren dieß »Die Meistersinger zu Nürnberg«, mit Hans Sachs an der Spitze.

Der Nürnberger Schuster-Meister war in der Vergangenheit schon manches Mal als Hauptfigur in Kunstwerken verwendet worden, ist also keine „Premiere“ von Wagner (siehe „Die Sage“). Sicherlich kannte er das eine oder andere Stück. Die Figur des Beckmesser hatte es ihm von Anfang an besonders angetan.

Aus wenigen Notizen in Gervinus‘ Geschichte der deutschen Literatur hatten die Meistersinger von Nürnberg, mit Hans Sachs, für mich ein besonderes Leben gewonnen. Namentlich ergötzte mich schon der Name des „Merkers“, sowie seine Funktion beim Meistersingen, ungemein. Ohne irgend näheres von Sachs und den ihm zeitgenössischen Poeten noch zu kennen, kam mir auf einem Spaziergang die Erfindung einer drolligen Szene an, in welcher der Schuster mit dem Hammer auf den Leisten dem zum Singen genötigten Merker, zur Revanche für von diesem verübte pedantische Untaten, als populär handwerklicher Dichter eine Lektion gibt.

Und dann ging alles sehr schnell:

Alles konzentrierte sich vor mir in die zwei Pointen des Vorzeigens der mit Kreidestrichen bedeckten Tafel von seiten des Merkers und des die mit Merkerzeichen gefertigten Schuhe in die Luft haltenden Hans Sachs, womit beide sich anzeigten, daß „versungen“ worden sei. Hierzu konstruierte ich mir schnell eine enge, krumm abbiegende Nürnberger Gasse, mit Nachbarn-Alarm und Straßenprügelei als Schluß eines zweiten Aktes, – und plötzlich stand meine ganze Meistersingerkomödie mit so großer Lebhaftigkeit vor mir, daß ich, weil dies ein besonders heiteres Sujet war, es für erlaubt hielt, diesen weniger aufregenden Gegenstand, trotz des ärztlichen Verbotes zu Papier zu bringen.

So schrieb Wagner also während seiner Marienbader Kurzeit den 1. Prosa-Entwurf für „Die Meistersinger von Nürnberg“ nieder. Am 16. Juli 1845 vollendete er ihn.

Vorerst verschwand dieser Entwurf in einer Schublade, die Zeit war noch nicht reif dafür (Näheres bei „Wagner Inside“).

Als er sechs Jahre später, 1851, seine autobiographische Abhandlung „Eine Mitteilung an meine Freunde“ schrieb, war darin auch eine schon ausführlichere Version der Meistersinger enthalten.

Es sollten aber noch zehn weitere Jahre vergehen, bevor die Zeit für die „Meistersinger“ wirklich reif war. Dem Zeitpunkt des ersten Entwurfes war ja unmittelbar die Fertigstellung des „Tannhäuser“ vorangegangen. Auch jetzt, 1861, war gerade die sich endlos hinziehende Aufführung des „Tannhäuser“ in der Pariser Großen Oper skandalös zu Ende gegangen. Beide Opern verbindet im Übrigen ein Sängerwettstreit.

Am 30. Oktober 1861 trat Richard Wagner in Verhandlung mit dem Verlagshaus Schott.

Der Wunsch, mich an eine leichtere, minder angreifende, und somit auch schneller zu beendende Arbeit zu machen, wird namentlich auch durch meine Lage, in welcher ich immer noch gegen die Schwierigkeit der Aufführung meiner ernsteren Werke zu kämpfen habe, mit wachgerufen, und ich betrachte es somit als einen glücklichen, meiner Stimmung und meinen Verhältnissen sehr gut entsprechenden Einfall, sofort die Ausführung eines meiner früheren Pläne zu einer populären komischen Oper in die Hand zu nehmen. –

Bereits habe ich dazu einen vollständigen Entwurf verfasst. Die Oper heißt „die Meistersinger von Nürnberg“ und der – jovial poetische – Hauptheld ist „Hans Sachs“. Der Stoff hat außerordentlich viel Gemütlich-Drolliges, und ich rühme mich mit diesem – gänzlich von mir erfundenen Original-Plan, etwas ganz Unerwartetes, Eigentümliches getroffen zu haben. Der Styl derselben, in Gedicht wie Musik, soll durchaus leicht-populär sein, und für seine schnellste Verbreitung über alle Theater soll mir namentlich auch der Umstand bürgen, dass ich diesmal weder eines sogenannten ersten Tenors, noch einer großen tragischen Sängerin bedarf.

Ich muss nun gestehen, dass, so wie dieser Plan meiner augenblicklichen Stimmung, die durchaus der Aufheiterung und Beschäftigung mit etwas Leichterem bedarf, vorzüglich schmeichelt, so ist dieses Vorhaben mir plötzlich auch durch meine Beziehungen zu Ihnen, hochgeehrter Herr, besonders lieb geworden. Ich verpflichte mich dieses Werk: „die Meistersinger von Nürnberg“ große komische Oper in 3 Akten, bereits für den nächsten Winter zur Aufführung vollkommen fertig zu liefern. Sowie ich das Gedicht vollendet habe, verspreche ich Ihnen dies sofort vorzulegen; aus dem Charakter desselben werden Sie zu entscheiden haben, ob Sie den Verlag der Oper selbst übernehmen wollen.

Vom 8. – 11. November 1861 traf Wagner in Venedig mit Wesendoncks zusammen. Mathilde Wesendonck hatte von ihm einst den ersten Entwurf der „Meistersinger“ geschenkt bekommen und das mag hier durchaus als „untergründige Schicksals-Fügung“ in Erscheinung getreten sein. Beim gemeinsamen Besuch der „Kunst-Akademie“ fasste Wagner nach eigener Aussage den definitiven Entschluss zur Ausführung der „Meistersinger“.

Bei aller Teilnahmslosigkeit meinerseits, muss ich jedoch bekennen, dass Titian’s Gemälde der Himmelfahrt der Maria eine Wirkung von erhabenster Art auf mich ausübte, so dass ich seit dieser Empfängnis in mir meine alte Kraft fast wie urplötzlich wieder belebt fühlte.

Ich beschloss die Ausführung der „Meistersinger“.

Die, für seine Freunde, plötzliche Rückreise nach Wien brachte auch gleich die ersten schöpferischen Ergebnisse.

verließ ich nach vier, äußerlich wahrhaft trübseligen Tagen, zur Verwunderung meiner Freunde plötzlich Venedig, und trat, den Umwegen zu Lande auf der Eisenbahn folgend, meine lange graue Rückreise nach Wien an. Während der Fahrt gingen mir die »Meistersinger«, deren Dichtung ich nur noch nach meinem frühesten Konzepte im Sinne trug, zuerst musikalisch auf; ich konzipierte sofort mit größter Deutlichkeit den Hauptteil der Ouvertüre in C-dur.

Auf jeden Fall war nach der Rückkehr nach Wien in dem durch die Pariser Erlebnisse tief traurigen Wagner, ein Stimmungsumschwung entstanden, der ihm wie eine Rettung erschien. Seine heitere Seite bekam wieder Oberwasser.

In seinem Gasthofe angekommen, setzte er sich sogleich hin und schrieb aus dem Gedächtnis einen zweiten Prosa-Entwurf.

In einem Brief an Verleger Schott, welchem er diesen Entwurf beilegte, legt er seine erstaunlich detaillierten Vorstellungen dar, um seine Existenz während der Schaffensperiode abzusichern. Er beschreibt zu Anfang die vorerst abgebrochenen Bemühungen um die Aufführung von „Tristan und Isolde“ am Wiener Hofoperntheater. Durch Erkrankung des Sängers wollte Wagner Tichatschek von der Dresdner Oper verpflichten, was aber durch kontraktliche Verpflichtungen erst geraume Zeit später möglich würde. Dadurch fielen seine Einkünfte für Honorar und den Verkauf der Partitur an andere Theater vorläufig aus. Die „nutzlose“ vor ihm liegende Zeit und seine bedrohte Existenzgrundlage versuchte er nun mit den Meistersingern zu wenden. Der Brief wird hier nahezu ungekürzt wiedergegeben, da er tiefe Einblicke in Wagners Vorgehensweise beinhaltet, sowie seine Not und den damit verbundenen Kampf bei der Umsetzung seiner Werke.

Da tauchten mir denn plötzlich meine wunderlichen „Meistersinger“ auf, und mit einem Schlag fühlte ich mich wieder Herr meines Schicksals. Offenbar hatte mein guter Stern mir dieses originelle, durchaus heitere, ja lustige Sujet einst eingegeben, um mir im bedenklichsten Augenblicke damit zu helfen. Dieses Sujet hat die zwei unberechenbaren Vorzüge, dass es mich selbst erheitert während der Arbeit, und dass es andererseits alle die erschwerenden Ansprüche für die Aufführungen, die meinen übrigen Werken zu eigen sind, ganz und gar nicht enthält. Vor Allem: ich brauche dazu keinen bedeutenden Tenor, und das ist für jetzt fast Alles, – aber auch keine große tragische Sängerin, und das ist viel. Hans Sachs, die Hauptrolle, wird in einer bequemen Basslage geschrieben, so dass sie an jeder Bühne vom Besten der Darsteller, sei er nun Baryton oder selbst tiefer Bassist, gesungen werden kann. Jedes, auch das kleinste Theater, hat jeder Zeit die Mittel zur Aufführung dieser Oper; großen Theatern gebe ich aber auch Gelegenheit, eine glänzende Ausstattung zu entwickeln, z. B. Auch zahlreiche Chöre zu entfalten, während ich für kleinere Theater im letzteren Punkt mögliche Reduktionen sogleich vorzuschreiben gedenke. Habe ich nun dabei eine schnelle, sofortige Verbreitung über alle Theater im Auge, so gedenke ich natürlich mit meiner Arbeit durchaus nichts meiner Unwürdiges zu bieten. Der Stoff erlaubt mir eine klare, durchsichtig-kernige Musik heiterster Färbung zu liefern; dennoch werden sie schon bei Durchlesung des Entwurfes gefunden haben, dass mein eigentümlicher Ton selbst bis zur schwärmerischen Gemütlichkeit ganz und voll auch hier angeschlagen werden wird. In Summa rechne ich gerade in der jetzigen Zeit darauf, den recht eigentlichen Nerv des deutschen Lebens getroffen zu haben, und zwar in der Weise, wie er gerade auch im Ausland als originell anerkannt und geliebt ist.Ich entsinne mich z. B. Den Direktor der großen Oper in Paris, als er die höchst originellen deutschen Trachten des 15. und 16. Jahrhunderts mit mir durchsah, seufzen gehört zu haben: „ach, brächten sie uns einmal eine Oper in diesem Kostüm! Das kann ich leider nie einmal anwenden!“ (Dies beiläufig!)

In Bezug auf die Ausführung meines Planes nun folgendes: noch vor Ende dieses Monates ziehe ich mich für ein Jahr vollkommen zurück, und werde vermutlich länger die Einladung des Fürsten Metternich, ein kleines Logis in seinem stillen Gesandtschaftshotel in Paris – auf den Garten hinaus – annehmen. – Mit 1. Oktober 1862 muss die Oper an alle deutschen Theater versandt und hoffentlich vor Dezember auf allen aufgeführt sein. Die Nachfrage nach einer neuen Oper von mir ist groß, – nur die wirklichen oder eingebildeten Schwierigkeiten meiner vorliegenden neuen Werke schrecken zurück.

Mit Ihnen wünsche ich nun einen ganz formellen Kontrakt abzuschließen, der mich völlig in Ihre Hände liefern soll. Nach diesem verpflichte ich mich, am 1. Januar 1862 das vollständige Gedicht, am letzten März den ersten, am letzten Juni den zweiten, am letzten September den dritten Akt in Partitur abzuliefern. Vom ersten Akte an sollen aber die Lieferungen in beliebigen Abteilungen der Art erfolgen, dass der Stich der Partitur gleichzeitig vorgenommen werden kann, und ich verpflichte mich, namentlich auch den dritten Akt in der Weise zuzustellen, dass der Stich auch dieses Aktes Anfang Oktober beendigt sein kann. – Der Kontrakt soll alle erdenkliche Konventionalstrafen für Rückstände meinerseits festsetzen.

Im Juli etwa würden Sie das gedruckte Buch an alle Theater versenden, mit der angebotenen Verpflichtung Ihrer Seits, die Partitur bis Mitte Oktober zu liefern.

Für den Klavierauszug möchte ich Herrn Marpurg in Mainz bestellt wissen: er würde immer sofort die eingegangenen Lieferungen der Partitur arrangieren, so dass auch der Klavierauszug gleichzeitig mit der Partitur fertig werde.

Die Aussicht, auf diese Weise, ohne links noch rechts zu blicken, einzig und anhaltend an eine Arbeit gebannt zu werden, die im tiefsten Grunde mich zerstreut und erheitert, diese Aussicht ist es, die mir das bevorstehende Lebensjahr nicht nur erträglich, sondern als einzig erfreulich erscheinen lässt, während ich sonst vor Gram mich verzehrte.

Allein nur unter einer Bedingung ist Alles dies möglich, – nämlich: dass Sie vollstes Vertrauen in mich haben und mein Vertrauen auf meine eigenen Kräfte und Fähigkeiten vollkommen teilen. Denn nur so können Sie dies ganze Unternehmen möglich machen, das andererseits mir einzig dadurch ausführbar wird, dass ich augenblicklich alle materiellen Sorgen und Beklemmungen von mir genommen, für das Arbeitsjahr alle meine Bedürfnisse vollkommen befriedigt und mindestens noch eine nächste Zeit nach der Vollendung mich mit dem Nötigen versehen weiß.

Meine Arbeit wird mir alle diese Vorteile verschaffen, allein ich muss sie zum großen Teil antizipieren können.

Vernehmen Sie daher meinen ungefähren Vorschlag. Was der Verkauf einer Partitur von mir an die deutschen Theater einbringt, sehen Sie aus dem beifolgenden Verzeichnisse. Ich bekräftige Ihnen mit meinem Ehrenwort, dass ich alle die verzeichneten Honorare von denbetreffenden Theatern für andre Opern bereits empfangen habe, – vielleicht habe ich noch dies oder jenes Theater vergessen: hier und da habe ich auch wohl einige Louisd’or mehr empfangen z. B. 12 statt 10 usw., so dass die Summe von 1085 Louisd’or jedenfalls eher höher als niedriger sich herausstellen wird.

Könnte es Ihnen, verehrtester Herr, recht sein, mit dem Verlag (von dem ich annehme, dass Sie mir ihn gegen ausschließliches Eigentumsrecht für alle Länder und alle Sprachen wieder mit 10.000 francs honorieren) zugleich auch das ganze Debit für alle Theater zu übernehmen, (mit einziger Ausnahme Berlins, welches Tantièmen zahlt, über die ich nicht gern verfügen möchte), so wäre mir dies das allererwünschteste, da außerdem die Nötigung, alle Korrespondenzen dieserhalb selbst zu führen, für mich erdrückend ist, namentlich in diesem Falle, wo ich auf eine ganz außerordentlich schnelle Verbreitung Rücksicht nehme. In diesem Falle würden Sie für die zu stellenden Honorarforderungen (die jedesmal ohne das Partiturexemplar, welches dem Verleger extra bezahlt wurde, galten) sich mit Sicherheit an das beiliegende Verzeichnis zu halten haben; jedenfalls aber hätten Sie fast überall die Forderungen diesmal noch um etwas zu steigern, wie ich dies selbst schon mit Erfolg getan habe. – Diese Übereinkunft, bei welcher Ihnen auch unverzeichnete außer-deutsche Theater, wie Stockholm, Petersburg, Kopenhagen usw. zustünden, wäre mir die Allererwünschteste, weil die Befriedigung meiner gegenwärtigen Bedürfnisse auf dieser Basis am leichtesten herbeigeführt werden könnte. – Doch könnten wir, hätten Sie durchaus Gründe, nicht das Theaterdebit zugleich auf eigene Rechnung mit zu übernehmen, ungefähr zu demselben mir nötigen Resultate gelangen, wenn wir die kontraktliche Bestimmung fortsetzten, dass die Honorareingänge Seitens der Theater – wenn in meinem Namen gefordert – doch einzig an Sie abzuliefern sein sollen, und zwar bis zur Deckung derjenigen Vorschüsse, die Sie mir außer dem Verlagshonorare gemacht haben würden. Ein promptes Abtreten alles Eigentumes an Sie wäre mir aber, schon der Einfachheit wegen, vorzuziehen; es käme dann nur darauf an, dass Sie, mit dem beiliegenden Verzeichnisse der Honorare an der Hand, sich zu einem billigen Vorschlage für die zu stipulierende Kaufsumme als Abfindung für mein Eigentumsrecht an die Theater mit sich und mir einigten. Ich wäre dann überzeugt, jeden Vorschlag Ihrerseits annehmen zu können.

Der für mich und der Möglichkeit der Arbeit wichtige Zweck dabei aber wäre der, dass Sie mir eben die nötigen Vorschüsse machten, um mich einfach in den Stand zu setzen, die Arbeit unternehmen und ungestört ausführen zu können. Ich kann zunächst bereits ohne einen bedeutenden Vorschuss, um peinigende Schulden davon zu bezahlen und den augenblicklichen Bedürfnissen einer trüben Lage und eines durchaus gestörten Hausstandes zu entsprechen, gar nicht nur an den Beginn der Arbeit denken. Des weiteren müsste ich stipulieren, dass mir mit jeder Ablieferung des Gedichtes und der einzelnen Akte eine neue Vorschussrate gezahlt würde; die letzten Raten der ganzen Kaufsumme (falls Sie damit das Theaterdebit aquirieren) würden dann etwa vierteljährlich nach der ersten Aufführung des weiteren zu zahlen sein.

Dies mein ungefährer Vorschlag. Sie sehen, ohne Ziffern genannt zu haben, wie sehr ich auf Ihre Freundschaft, auf Ihren guten Glauben an mich rechne. Somit kündige ich Ihnen denn binnen hier und etwa 8 Tagen meinen Besuch bei Ihnen in Mainz an. Hoffentlich gelingt es dann, mündlich alles Nötige in Ordnung zu bringen. Für jetzt doch bitte ich Sie, meine Vorschläge freundlichst zu überlegen, und mir schnell wenigstens eine Notiz darüber noch zukommen zu lassen, ob Ihnen mein Plan im Allgemeinen zusagt, und ob Sie mir Hoffnung machen können, dass wir über die angedeuteten Bedingungen uns einigen würden. Hätte ich dazu keine Aussicht, so müsste ich allerdings mein Plan in Vielem ändern, und eine Reise nach Mainz müsste mir dann obliegen. Somit ein Wort, ich bitte, ob ich Ihnen in Mainz willkommen sein werde! – …

Die erste Aufführung der „Meistersinger“ denke ich mir etwa Mitte November in München. – Meine Fähigkeit, meinen künstlerischen Plänen zu nützen und mir die nötige Stellung dazu zu geben, hängt – wie ich zuletzt wieder in Wien erfahren habe – so sehr davon ab, dass ich das pekuniäre Interesse nie, wo ich persönlich wirke, stark betonen darf; – Sie glauben nicht, was Sie mir dadurch genützt haben, dass Sie mir dies eben zuletzt hier möglich machten; das Gegenteil erfahren Sie durch die schadenfrohen Behauptungen in den Zeitungen, die ich glücklicherweise dementieren konnte. Andererseits aber habe ich nun eben kein Vermögen, keinen Gehalt, bin auf meine Arbeiten angewiesen, habe in den letzten Jahren die größten Opfer gebracht und könnte jetzt nicht vom Fleck, wenn – die „Meistersinger“ und Freund Schott nicht helfen!

Es kommt daraufhin vom 1. – 3. Dezember 1861 zu einem Treffen bei Schott’s in Mainz. Er berichtet:

In Mainz lernte ich nun die Familie Schott, welche bereits in Paris an mir vorübergegangen war, näher kennen. Trotzdem gingen meine Unterhandlungen mit dem höchst sonderbaren Menschen, als welchen ich nun Franz Schott zu begreifen hatte, ungemein schwierig vor sich. Ich bestand durchaus auf der Ausführung meines ersten Vorschlages, welcher darauf ausging, mich für zwei Jahre sukzessive mit den nötigen Fonds zu versehen, um ungestört mein Werk ausführen zu können. Seine Abneigung hiergegen beschönigte er damit, dass es seinem Gefühle widerstehe, mit einem Manne wie mir gleichsam einen Handel zu treiben, indem er mir mein Werk für irgend eine Summe auch zur Ausbeutung meiner Autorenrechte im Betreff der theatralischen Aufführungen abkaufen solle; er sei Musikverleger und wolle nicht mehr sein. … Sehr langsam war er endlich dazu zu bringen, auf von mir „zuliefernde musikalische Kompositionen“ im allgemeinen Vorschüsse zu machen, was ich denn endlich gern annahm, jedoch immer darauf bestehend, dass ich mich im ganzen auf eine sukzessive Zahlung von 20.000 Franken verlassen könnte.

So konnte er, mit 10.000 Franks in der Tasche, zu seinem eigentlichen Ziel weiterreisen. Fürst Metternich hatte ihn ab 1. Januar 1862 eingeladen, eine Zeit lang in seinem Gesandtschaftshotel in Paris zu verbringen. Er nahm sich bis dahin ein kleines Zimmer im Hotel garni Voltaire und begann am 9.12. den Prosaentwurf in Verse zu dichten. An seine Frau Minna schreibt er:

Drollig war es mir, hier in Paris gegenüber den Tuilerien und dem Louvre mich mit meinen Nürnberger „Meistersingern“ herumzutreiben: ich muss oft darüber laut lachen, wenn ich aufblicke … .

Auch bedankt er sich noch einmal bei Betty Schott betreffs ihres Mannes:

Sein großer Blick und sein edler Sinn haben ihm jetzt eine wirkliche und entscheidende Stelle unter denjenigen Lebensmächten zugewiesen, welche wohltätig und fördernd auf meine künstlerische Produktivität einwirken.

Kurz vor dem Jahreswechsel erhält er eine Hiobsbotschaft. Seine geplante Unterkunft im Metternich’schen Hause ist durch einen Krankheitsfall anderweitig belegt, sodass das Fürstenpaar ihm eine Absage erteilen muss. Ein Aufenthalt in Paris hat nun für Richard Wagner keinen Sinn mehr und nachdem er sich die lange Silvesternacht den Kopf zerbrochen hat, wohin er sich nun wenden könne, fasst er den Entschluss, nach Wiesbaden, in die Nähe von Schotts zu gehen. Er verständigt diese sogleich und bittet schon mal vorab um Wohnungssuche. Allerdings tritt sein altes Problem wieder zu Tage. Bei Metternichs hätte er Gastfreundschaft genossen, jetzt muss er wieder selber für seinen Unterhalt sorgen. Er fügt dementsprechend hinzu:

Mein bester Herr Schott, ich brauche dazu dreitausend Francs, und muss Sie inständigst bitten, diese Summe mir noch in Vorschuss zu geben!

Ich gelange dadurch dann auf den Boden, der mich leichter dann weiter trägt, komme für einige Zeit noch aus, und gewinne Ruhe zur Arbeit, wie Aussicht auf anderweitiges Gelingen! – Da ich Ihnen meine Bedürfnisse bereits in Mainz offen bezeichnete, werden Sie höchstens nur dadurch überrascht sein, dass ich schon jetzt mich zu neuer Hülfe gedrängt sehe. Davon liegt die Ursache aber nun eben in der oben erklärten unerwarteten Nötigung. Doch hoffe ich, soll es nun besser werden, und auch dass ich ferner es Ihnen leichter machen kann. –

Wagner überschätzt hier aber die Vermögenslage seines Verlegers und erhält folgerichtig zunächst eine Absage. Er beschließt, noch bis Ende Januar in Paris zu bleiben, da er gerade jetzt einen ungeheuren Arbeitseifer spürt. Nach seinen eigenen Worten hat er die Dichtung in genau dreißig Tagen vollendet. Den 1. Akt am 5. Januar 1862, den 2. Akt am 16. Januar und den 3. Akt am 25. Januar 1862. Dann fertigte er noch eine Reinschrift davon an, die ihn aber sehr in seiner Gesundheit beeinträchtigte.

Mittlerweile hatte sich der Abreisetermin aus Paris konkretisiert auf den 1. Februar 1862. Schott konnte ihm jetzt auch 1.500 Franks als Wechsel auf April zusenden und ihm so die Kosten des Umzuges und der Reise ermöglichen.

Zuerst fuhr er aber nach Karlsruhe zur Großherzoglichen Familie, um seine Dichtung dort vorzutragen. Auch bei Schotts organisierte er schon mal einen solchen Kreis und lud einige Freunde dazu ein. An Peter Cornelius schrieb er z. B.:

Peter!

Hör!

Mittwoch, am 5. Februar, Abends, lese ich in Mainz bei Schott’s die Meistersinger vor. –

Du hast keine Ahnung davon, was das ist, was es mir ist, und was es meinen Freunden sein wird!

Du musst an dem Abend dabei sein!

Lass‘ Dir sogleich von Standhartner in meinem Namen das zur Reise nötige Geld vorschießen. In Mainz erstatte ich Dir sofort dieses, und was Du zur Rückreise nach Wien brauchst wieder. Dies ausgemacht! Ich hab‘ schon mehr Geld schlechter vertrödelt: Jetzt will ich einmal eine tiefe Freude davon haben.

Fürchte keine Strapaze: es wird, glaub‘ mir, ein heiliger Abend, der Dich alles vergessen lässt! –

Also – Du kommst!

Wenn nicht, bist Du auch ein gewöhnlicher Kerl, etwa ein „guter Kerl“, und ich nenne Dich wieder Sie!

Adio!

Wagner verließ also den Großherzog und fuhr einem neuen Lebensabschnitt entgegen. Er schreibt:

Für jetzt setzte ich meine Reise nach Mainz fort, wo ich, am 4. Februar, bei einer großen Überschwemmung eintraf. Der Rhein war in Folge eines frühzeitigen Eisbruches in ungewöhnlicher Weise ausgetreten; fast nur mit Gefahr konnte ich in das Haus Schott’s gelangen; dennoch hatte ich bereits auf den 5. dieses Monates Abends auch für hier eine Vorlesung der »Meistersinger« angesagt, und hierzu, noch von Paris aus, Cornelius von Wien her einzutreffen verpflichtet, indem ich ihm mit 100 Franken das Reisegeld besorgt hatte. Mir war keine Antwort von ihm zugegangen, und da ich nun erfuhr, dass die gleiche Überschwemmung, wie ich sie in Mainz antraf, sich auf alle Flussgebiete Deutschlands erstreckte und allen Eisenbahnverkehr hemmte, rechnete ich zwar nicht mehr auf Cornelius‘ Eintreffen, verzögerte aber doch den Beginn der Vorlesung bis zu der ihm festgesetzten Stunde, und wirklich – Schlag sieben Uhr trat Cornelius bei uns ein. Er hatte die schwierigsten Abenteuer zu bestehen gehabt, sogar seinen Paletot (Mantel) unterwegs verloren, und war halb erfroren vor wenigen Stunden soeben erst jetzt bei seiner Schwester angelangt. So versetzte uns auch hier die Mitteilung meines Gedichtes in die heiterste Laune; nur betrübte es mich Cornelius von seinem Vorsatze, des anderen Tages sogleich wieder zurückzureisen, nicht abbringen zu können: er hielt diese pünktliche Ausführung seines Vorsatzes, eben nur für eine Vorlesung der »Meistersinger« nach Mainz zu kommen, für unerlässlich um dem ganzen Vorgange seinen absonderlichen Charakter zu bewahren. Wirklich reiste er anderen Tages, trotz Eisschollen und Wasserfluten, wieder nach Wien zurück. –

Der ebenfalls anwesende Wendelin Weißheimer berichtet von dieser Vorlesung

dass sie sicherlich keiner der Anwesenden während seines Lebens vergessen haben wird. Die Modulationsfähigkeit seiner Stimme war so groß, dass er bald nicht mehr nötig hatte, die Namen der handelnden Personen einzeln zu nennen. Jeder wusste gleich: das ist jetzt Eva, Stolzing, Sachs oder Pogner, die da reden, und gar erst bei David und Beckmesser war in seinem Stimmklang jede Verwechslung mit den andern absolut ausgeschlossen. Selbst in dem lebhaften Durcheinandergerede der Meistersinger hob sich jeder von dem andern so deutlich ab, dass man schon ein förmliches Ensemble zu hören glaubte, das die Zuhörer mit sich fortriss und sie zu stürmischen Kundgebungen veranlasste. Mehrmals musste er warten, bis diese sich wieder gelegt hatten, eh‘ er in seiner rhetorischen Virtuosenleistung (denn eine solche war es im eminentesten Sinne des Wortes) wieder fortfahren konnte. … Jedem der Anwesenden war es am Schlusse dieser unvergesslichen Reproduktion klar, dass er an der Wiege eines mächtigen, epochemachenden Kunstwerkes gestanden …

Auf diese Art veranstaltete Wagner übrigens ein knappes Dutzend Vorlesungen, in voller Länge und alle Rollen selber gesprochen.

Jetzt galt es, ein Asyl aufzusuchen, wo Wagner die Musik zu seiner Dichtung schreiben konnte. Unter widrigsten Umständen gelang es ihm, bis zum 12. März 1862 in Biebrich eine Wohnung herzurichten, die ihm diese Arbeit ermöglichen sollte.

Trotz der – wie stürmisch anrollender Wellengang – immer wiederkehrenden Geldprobleme kann er am 13. Mai an Minna berichten:

An der Arbeit halte ich wie ein Teufel fest; und während Du, – die mich ja so wohl kennt! – mich beständig auf zerstreuenden Ausflügen vermutest, zwinge ich, selbst bei schlechtester Laune, jedem Tage wenigstens ein Lächeln meiner Muse ab. Somit bin ich denn doch nun tüchtig drin, und ein gut Stück vom ersten Akt ist bereits fertig.

Und am 18. desselben Monats schreibt er an Wendelin Weissheimer:

Eine zeitlang ging es zuletzt mit meiner Arbeit recht hübsch: aber die Laune hält nicht immer vor: schön Wetter brauche ich unbedingt. Endlich musste auch ich anfangen zu medizinieren, da gewisse verstimmende Unterleibsleiden, mit heftigen Kongestionen nach dem Herzen gar nicht mehr nachlassen wollten. Im Ganzen sehe ich ein, dass auch diese Arbeit kein Spaß ist, und die eigentümlichen Schwierigkeiten derart sind, dass, wenn sie in meinem Sinne gelöst werden sollten, dies nur mit Hilfe guter Einfälle geschehen kann, die Einem nun einmal nicht auf Kommando zu Gebot stehen. Zum Instrumentieren bin ich noch nicht gekommen; doch habe ich nun eine Arbeitseinteilung getroffen, bei welcher mir täglich auch ein paar Stunden für’s Instrumentieren abfallen sollen. Bis Ende nächsten Monates soll – denke ich – doch ein gut Teil des ersten Aktes in Partitur fertig sein.

Vier Tage später, am 22. Mai – seinem Geburtstag – teilt er Mathilde Wesendonck, seiner Muse, mit:

An Sie durfte ich jetzt wenig denken, da ich Ihnen in Nichts mehr helfen und nur stille Wünsche noch für Ihr Wohlergehen hegen darf.

So saß ich einsam.

Plötzlich kam mir ein Einfall zur Orchestereinleitung des dritten Aktes der Meistersinger. In diesem Akte wird den ergreifendsten Kulminationspunkt der Moment abgeben, wo Sachs vor dem versammelten Volke sich erhebt, und von diesem durch einen erhabenen Ausbruch seiner Begeisterung empfangen wird. Das Volk singt da feierlich und hell die acht ersten Verse von Sachsens Gedicht auf Luther. Die Musik dazu war fertig. Jetzt zur Einleitung des dritten Aktes, wo, wenn der Vorhang aufgeht, Sachs in tiefem Sinnen dasitzt, lasse ich die Bassinstrumente eine leise, weiche, tief melancholische Passage spielen, die den Charakter größter Resignation trägt: da tritt, von Hörnern und sonoren Blasinstrumenten die feierlich freudig-helle Melodie des „Wacht auf! Es rufet gen den Tag: ich hör‘ singen im grünen Hag ein‘ wonnigliche Nachtigall“ wie ein Evangelium hinzu, und wird wachsend von dem Orchester durchgeführt.

Es ist mir nun klar geworden, dass diese Arbeit mein vollendetstes Meisterwerk wird und – dass ich sie vollenden werde.

Franz Schott erhält am 8. Juni 1862 die Nachricht:

Auch mit der Instrumentation habe ich nun begonnen und Ende dieses Monates soll hoffentlich ein guter Teil des ersten Aktes fertig Ihnen übergeben werden.

Doch weitere Hindernisse stellten sich Wagner in den Weg. Das Verhältnis zu seiner Frau Minna wurde immer angespannter und belastete ihn sehr. Sie klagte ihn fortwährend an und, der so Harmoniebedürftige konnte dann oft tagelang nicht an seinem Werk arbeiten.

Ende Juli ereignete sich dann noch ein folgenschwerer Unfall. Wagner wollte zusammen mit dem Dienstmädchen den Kettenhund Leo seines Vermieters im nahegelegenen Rhein von Ungeziefer reinigen. Der Hund, dem diese Prozedur ungewohnt war, biss Wagner daraufhin in das vordere Daumengelenk der rechten Hand. Die Verletzung erschien äußerlich geringfügig, zog jedoch eine schmerzhafte Entzündung der Knochenhaut nach sich, die zur Heilung eine völlige Ruhestellung erforderte. Am 10. September meldete er an Minna dann die Heilung.

Auch die pekuniäre Situation spitzte sich weiter zu. Schott drehte ihm nach weiteren Forderungen den Geldhahn zu, da seine Geschäfte auch nicht liefen. Wagner schrieb mehrere Bittgesuche um Darlehen bzw. Vorschüsse auf sein Werk an vermögende Freunde und Bekannte, die ihm in der Vergangenheit schon ausgeholfen hatten. Sein Freund Hans v. Bülow verkaufte sogar einen wertvollen Ring, den er als Geschenk des Großherzoglichen Hauses in Karlsruhe erhalten hatte. Wendelin Weissheimer begann schon damit, vermögend aussehende Herren auf der Straße anzusprechen, ob diese als Gönner eines berühmten Mannes auftreten würden.

Selbst sein Freund, der Heldentenor Schnorr von Carolsfeld, musste passen. Er machte zwar einen wohlhabenden Greis ausfindig, aber dieser war letztendlich doch nicht gewillt, in Wagner zu investieren. Schnorr sagte:

Wenn nur dieser unglücklichen Geschichte ein Ende gemacht werden könnte; es ist zu traurig! Ein Mann mit dieser unerschöpflichen Schöpferkraft muss wie ein gewöhnlicher Mensch für das tägliche Bedürfnis sorgen, muss seinen Geist erniedrigen, indem er auf Mittel sinnt, seine Gläubiger zu befriedigen. Es ist die traurigste und zugleich lächerlichste Geschichte, die ich auf meiner Lebensbahn bis jetzt gesehen!

Am 29. September 1862 übergab er Schott die Reinschrift des Gedichtes, um das Textbuch drucken zu lassen.

In der Zwischenzeit meldete sich Wien wieder: Wagner könne jetzt die Einstudierung von „Tristan und Isolde“ aufnehmen, der Tenor Ander stehe wieder zur Verfügung. Die Begeisterung seitens Wagner hielt sich jedoch in Grenzen. Am 30. September schreibt er:

Nach meinem Wunsch würde ich mich jetzt ein halbes Jahr in meinem nun für den Winter hergerichteten Biberneste einschließen und nicht eher wieder aufmachen, als bis die „Meistersinger“ fertig wären. Ich gedenke morgen endlich wieder an meine Arbeit zu gehen.

Und am 13. Oktober muss er in einem Brief an Franz Müller einräumen:

Ich fühle mich außerdem fast vollständig verlassen: an eine Fortsetzung der Komposition der Meistersinger kann ich nicht mehr denken. So muss ich durch „Unternehmungen“ versuchen, wie ich mir einst wieder Ruhe zum Arbeiten gewinne.

Er organisiert zahlreiche Konzerte und reist dazu Ende Oktober nach Leipzig und anschließend nach Wien, wo er zum Jahreswechsel 1862 gastierte.

Von hier aus mahnte er Schott, weil dieser noch nicht mit dem Druck der Dichtung begonnen hatte. Er wollte endlich die Dichtung an seine Freunde verschicken.

An Franz Dingelstedt in Weimar schreibt er am 23. Januar 1863 vorausschauend:

Mein höchstes persönliches Interesse erheischt es, dass ich die Komposition der Meistersinger im nächsten Sommer vollende, und nehme ich mit Bestimmtheit an, dass sie zur Aufführung in den ersten Tagen des nächsten Jahres fertig sein wird. Somit glaube ich Ihnen mit gutem Gewissen die Einsendung der Partitur bis Ende November d. J. Versprechen zu können.

Am 15./16. Februar 1863 fuhr er zurück nach Biebrich und musste wegen seinem zu Ostern auslaufenden Mietvertrag beginnen, eine neue Unterkunft organisieren.

Am 8. Mai 1863 berichtet er an Franz Müller, er habe ein neues Domizil gefunden, eine Landwohnung in Penzing:

Nun hoffe ich zunächst in einer Landwohnung in Penzing bei Wien mich – nach langer schmerzlicher Unterbrechung – wieder an die Musik zu den Meistersingern machen zu können. Gebe der Himmel, dass ich sie ungestört vollenden kann: einer meiner größten Wünsche …

… und schließlich kann er am 16. Juni seiner Freundin Mathilde Maier mitteilen:

die erste Szene der Meistersinger ist nun instrumentiert; jetzt treten die Lehrbuben dazu. –

Am 10. Juli berichtet er aus Penzing an Wendelin Weissheimer:

Bisher habe ich wieder an den „Meistersingern“ instrumentiert. Aber es geht sehr langsam; ich bekenne, der üppige Quell der Laune und des Lebensmutes, aus der solche Arbeitslust fließen muss, ist jetzt bei mir versiegt. Ich weiß auch nicht, wo ich es hernehmen soll, im Hinblick der Erbärmlichkeit der Theater.

… und am 20. Juli 1863 an Mathilde Maier:

Das Traurigste ist, dass mich die Arbeit nicht mehr freut. Zu solch launiger Musik habe ich nun gar erst keine Stimmung. Überhaupt wird mir die Musik immer lästiger: durch sie verfalle ich dem eigentlichen Teufel meines Lebens; was ist denn den Menschen Musik? Amüsement, sinnlicher Kitzel! Eher würde es gehen, wenn ich sie ganz an den Nagel hinge, und nur noch dichtete und so etwa Literatur trieb: man sieht dann Die nicht, mit Denen man zu tun hat.

Richard Wagner musste unentwegt sinnen, wie er sich die Bedingungen zum Schaffen der „Meistersinger“ in dieser ihm so feindlich gesinnten Welt herstellen konnte – Ruhe und die Mittel zum Lebensunterhalt. An W. Weissheimer schreibt er am 2. August 1863:

Seit der schrecklichen Katastrophe mit Schott im vorigen Herbst (dieser stellte seine Zahlungen ein, da Wagner nicht vereinbarungsgemäß lieferte) und dem Innewerden meiner unglaublich hilflosen und verlassenen Lage von damals ist eine wachsende Angst über mich gekommen, die in mir, das fühle ich, keine Ruhe zur Arbeit wieder aufkommen lässt, ehe ich nicht auf jede Weise mir mein Leben einigermaßen gesichert habe. Die Grundlage hierzu habe ich mir nun durch eine dauernde Niederlassung und gründlich häusliche Einrichtung gewonnen; ich muss nun zunächst sehen, wie ich auch für mein ferneres Auskommen weiter sorge, da ich meiner innersten Überzeugung nach auf die Theater für meine neuen Werke gänzlich verzichte. Nachdem ich fünfzig Jahr geworden, muss ich wissen, wovon ich leben soll; der unglaubliche Erfolg, den ich soeben wieder in Pest hatte, zeigt mir den Weg, auf welchem ich, wenn auch mit großen Aufopferungen, etwas für meine Zukunft tun kann. Die Welt begreift nur Virtuosen und bezahlt ihn; an der Spitze eines Orchesters mit meinen wenigen Kompositionen erscheine ich als ein solcher, und in dieser Qualität muss ich denn jetzt – zu höchster Zeit – für mich sorgen.

Der Rest des Jahres 1863 war angefüllt mit der Vorbereitung und Durchführung zahlreicher Konzerte, in denen er Ausschnitte aus seinen neueren Opern einschließlich der „Meistersinger“ aufführte. Die außerordentliche Beanspruchung durch Reisestrapazen und zahlloser Proben ließen keine weitere kontinuierliche Arbeit an der Komposition der „Meistersinger“ zu. Auch seine finanzielle Situation spitzte sich weiter zu, so dass an Schaffensruhe nicht zu denken war.

Der Beginn des neuen Jahres 1864 stand zunächst im Zeichen von Hoffnungslosigkeit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

An seine Petersburger Freundin Editha von Rahden schreibt er am 16. Januar:

Noch lebe ich, – wenn auch nur weil ich nicht sterben kann. Doch bin ich immer krank, und meide jede Anstrengung. Die „Meistersinger“ rücken langsam vor, nicht ohne Liebe, aber ohne Glauben und Hoffen.

Die ersehnte Ruhe konnte jedoch erst in greifbarer Nähe erscheinen, als sich am 3. Mai 1864 der Sekretär des Königs von Bayern, Hr. Pfistermeister, bei ihm anmelden ließ, um eine Wende in Richard Wagners Leben anzubahnen. Über Nacht war er plötzlich aller gemeinen Sorgen enthoben, der ersehnte „Fürst“ war in sein Leben getreten.

Richard Wagner konnte nun einerseits daran gehen, sein vergangenes Leben zu ordnen und andererseits eine neue Existenz aufzubauen. Der junge König war sehr begierig, des Meisters Werke durch ihn selber tiefer zu verstehen und auch aufgeführt zu bekommen. Besonders hatten es ihm „Tristan und Isolde“ und die Fertigstellung des „Ringes“ angetan. So ging das Jahr 1864 seinem Ende zu.

Zu Beginn des Jahres 1865 teilt er seinem Verleger Schott mit:

Die Meistersinger sollen auch wieder daran kommen, darauf können Sie sich verlassen: derlei gut Gelauntes macht sich von selbst, wenn man nur Grund zur guten Laune hat, und hierzu gestaltet sich jetzt Alles in meinem Leben.

… und am 16. März fügt er hinzu:

An den Meistersingern arbeite ich unter der Hand immerfort. –

Im Dezember 1865 bittet ihn der König schweren Herzens, Bayern eine Zeit lang zu verlassen. Wagner ist im Grunde froh, da auch sein neues Leben wenig Ruhe bot, wenn auch unter anderen Vorzeichen. An Mathilde Maier schreibt er am 17. Dezember 1865:

bald hoff‘ ich wirklich arbeiten zu können, wozu ich in München nie – nie mehr gekommen wäre.

Am 21. Februar 1866 sendet er ein Telegramm an Cosima v. Bülow:

Das tat dem alten Schuster wohl. Dafür ist heute der Aktschluss fertig geworden.

Der erste Akt war in Partitur am 23. März 1866 vollendet!

Das nächste Lebenszeichen der „Meistersinger“ stammt erst wieder vom 30. Juni 1866. An seinen Freund Anton Pusinelli in Dresden schreibt er:

die Arbeit ist wieder im Fluss, täglich wachsen die Meistersinger an. Wünsch‘ mir Glück: dies Werk führt uns hoffentlich nächstes Jahr endlich einmal wieder zusammen.

… und dem König ruft er am 14. Juli 1866 zu:

Mein Theuerster! Ich arbeite fleißig und mit großer Lust: – was sagen Sie dazu? Sie, so beklagenswert dem Wüten der Welt, dem Stürmen des Völkerschicksals ausgesetzt, zu dem Millionen angstvoll hinaufblicken, um aus Seinen Entschlüssen ihr Los auf lange Zeiten zu vernehmen? Dünkt es Ihnen töricht, oder weise, dass ich Ihnen, mitten unter den Schrecknissen und düstersten Sorgen, die Ihr junges Königsleben umlagern, von dem Wiedergewinn meiner heitersten Gestaltungskräfte melde, mit denen ich jetzt den zweiten Akt der Meistersinger in das tönende Dasein rufe?

Ach! Dass ich so heiter jetzt meine Bestimmung erkennen, nach so unsäglichen Leiden und Enttäuschungen rüstig wieder beginnen und zu vollenden hoffen kann, – das ist ja eben das unermesslich, einzig wundervolle Glück Ihrer Liebe! O, seien Sie gesegnet, mein Engel, mein herrlicher Verheißener! Das Weltenschicksal, dem die Herrlichkeit des deutschen Geistes auch im politischen Leben einer großen Nation auszuführen zu schwierig fiel, das nun seine Absicht entstellt und zerbröckelt aus seiner Hand sich winden lässt, das schuf Uns Beide, um das für das Leben zu schöne im ewigen Spiegel der Kunst auszuführen und – vielleicht der Nachwelt so zu erhalten, dass dereinst man annehmen zu müssen genötigt wird, die Nation, die so etwas aus sich gefördert, habe wirklich gelebt!

Heinrich Porges empfängt am 2. August die Nachricht:

So lange ich gesund bin, arbeite ich fleißig an den Meistersingern, was mir große Freude macht: bald hoffe ich mit dem 2ten Akte fertig zu sein.

Am 16. September 1866 kann er in einem Brief an Mathilde Maier verkünden:

Der zweite Akt ist fertig. – Nürnberg soll die erste Aufführung haben …

Dem König teilt er am 25. Oktober 1866 mit:

Jetzt bin ich hübsch im dritten Akt darin, und habe nächstens Walthers Preisgesang, zu welchem die Melodie fertig ist, neu zu dichten, …

… und am 22. November 1866 berichtet er ihm:

Darf ich dem Theuren mein Vorspiel zum dritten Akte der „Meistersinger“ schildern? Ich muss es oft der Freundin vorspielen: Gott weiß! Es scheint gelungen zu sein. – So ist es dort: – beim dritten Vers des Schusterliedes des Hans Sachs hörten wir zu der Liedweise eine zweite, tiefklagende Melodie, in gehalteneren Tönen erklingen. Diese tritt nun in den tieferen Noten ganz allein, ernst, schwermütig, wie klagendes Sinnen, zu Anfang der Einleitung des dritten Aktes hervor: sie wird von den anderen Saiteninstrumenten in Verschlingung aufgenommen, wird wie zu einem traurig resignierten Abschluss gebracht; unmittelbar mit diesem Abschluss treten jedoch die tieferen Bassinstrumente mit dem „Wacht auf! Es nahet gen den Tag“ hinzu, welches am Schlusse des Aktes das ganze Volk in feierlichster Ergriffenheit anstimmt, um Sachs damit zu begrüßen. Jetzt tönt es wie eine wonnige Vorverkündigung: nach dem ersten Teile dieser Melodie schließen sich die Saiteninstrumente wieder an, wie in zarter Rührung die Augen nach der Sonne erhebend, die freundlich über das Haupt des Sinnenden zum Fenster hereinstrahlt, und den Staub in goldenes Spiel setzt, in dessen Anblick der Entrückte wehmütig lächelnd sich verliert. Da treten wieder die tiefen Blasinstrumente mit dem zweiten Teile der glorreichen Verkündigung ein und schließen es wie mit feierlicher Rührung ab: Die Saiteninstrumente treten da wie mit einem Ausbruch erhabendster Tränen hinzu; es ist das gleiche Thema, wie im Anfang, aber in weicher, sanfter Färbung; es senkt sich wie zu lächelnd milder Resignation, dem einzigen Glück eines edlen Herzens und hohen Geistes, herab, um, wie mit einem veredelten Anklange an das eigentliche Schusterlied, zart und rührend sich zu verlieren. – Das ist das Vorspiel : der Vorhang hebt sich. Sachs im Stuhl mit der Weltchronik; er unterhält sich endlich selbst mit David, ohne sich eigentlich in seinem Sinnen stören zu lassen: als dieser fort ist, hören wir wieder die erste klagende tiefe Melodie; zu ihr beginnt nun Sachs: „Wahn! Wahn! Überall Wahn!“ –

Der 10. Dezember 1866 bringt die Nachricht an Ludwig II.:

Die „Meister“ wachsen und gedeihen: mein schönstes Werk ist der Vollendung nahe.

In einem weiteren Brief vom 15. Dezember 1866 an Mathilde Maier klagt er noch einmal die widerstrebenden Umstände an:

Immer drückt etwas auf meine armen Meistersinger, und wenn es endlich zur Unzeit nur das schlechte, feige Wetter sein sollte, wie dieser Tage. Trotzdem wachsen sie: jetzt habe ich die Meisterweise getauft, was recht gut ausgefallen sein wird. Endlich denke ich mir doch das Leben zur Vollendung meiner Werke dieser scheußlichen Welt abzutrotzen: halb u. halb hilft […], ruhig hier gelassen zu werden, was unter allen Umständen das einzige sinnvolle Glück für mich ist.

Gleich zu Beginn des Jahres 1867 erhält der König die Nachricht:

ich lege die Notenfeder, mit welcher ich soeben den dritten Vers von Walther’s seliger Morgentraum-Deutweise aufzeichnen wollte, nieder, um mein erstes Geschäft im neuen Jahre mit diesem Briefe auszuführen.

An seinen Freund aus der Dresdener Revolutionszeit August Röckel schreibt er am 8. Februar 1867:

Bald bin ich mit den Meistersingern fertig! Gott, was ist das für ein Werk! Das ganze Königreich Bayern gebe ich dafür dran!!

Am 21. März schreibt er an Ludwig II.:

Nach großer Erschöpfung setze ich heute zum erstenmale hiermit die Feder wieder an. Morgen hoffe ich die erste der 300 Seiten, die ich noch an der Partitur der Meistersinger zu schreiben habe, in Angriff zu nehmen.

Am 20. Juli schickt Wagner den letzten Teil des 2. Aktes in Partitur zu seinem Verleger Schott, damit dieser sofort gestochen werden kann.

Schließlich erhält Hans v. Bülow am 24. Oktober 1867 ein Telegramm mit dem Inhalt:

Heute Abend Schlag 8 Uhr wird das letzte C niedergeschrieben. Bitte um stille Mitfeier.

Sachs

… und einen Tag später an den König:

Ach, Geliebtester! Gestern schrieb ich die letzte Note meiner neuen Partitur. Die Glorie ist vollendet. Es wird Uns zu göttlichem Ruhme gereichen. Ich war sehr, sehr angegriffen: aber stolz, stolz. Ihre Liebe strahlt in mir. – Nun denn: die Fahne ist gepflanzt:

„Ehrt eure deutschen Meister,

dann bannt ihr gute Geister!“