Rudolf Steiner

Die Musik des Parsifal als Ausdruck des Übersinnlichen

KASSEL, 16. JANUAR 1907

(GA 97, S. 257-262)

Hier, wo mein Wähnen Frieden fand,

Wahnfried sei dieses Haus von mir benannt

Diese Worte schrieb Richard Wagner über das Haus, das er sich in Bayreuth erbaute. Er hatte dieses Haus tief ersehnt. Alles Leben hatte er als Streben und Wähnen empfunden. Den Frieden seines Wähnens fand er in seinem Bühnenweihespiel „Parsifal“.

Man glaubt meistens, dass ein Kunstwerk wie Wagners „Parsifal“ so entstehe, als ob der Künstler alle Gedanken, die dann gefunden werden können, bewusst hineingelegt habe. So fasst aber niemals ein Mystiker das von ihm geschaffene Werk auf. Auch die Pflanze kennt die Gesetze nicht, die der Botaniker in ihr findet. Unsichtbare Mächte schwebten über Richard Wagner. Von ihnen stammt, was im „Parsifal“ liegt. In Wagner lebte vieles von dem, was wir Geheimschulung nennen. Eine wunderbare Wirkung kann davon ausgehen, wenn man die Entwickelung seiner Persönlichkeit durch sein Leben hindurch verfolgt. Man beobachtet dann, wie in ihm Wahrheiten aufdämmern, die jahrhundertelang in den Geheimschulen systematisch gepflegt worden sind.

Führen wir uns vor Augen, in welcher Weise die Geheimschüler in solche Geheimnisse eingeführt wurden, wie sie später in Wagner instinktiv auflebten. Mannigfaltige Übungen des Körpers und der Seele wurden da vorgenommen, wodurch eine intime Formung des okkulten Vorstellungsvermögens eintrat. Der Lehrer erweckte in dem Schüler vor allem eine Grundempfindung, um in ihm ein intimes Verhältnis zu der umgebenden Natur hervorzurufen. Der Schüler wurde durch die Naturreiche geführt und angeleitet, der Natur gegenüber ebenso zu empfinden, wie man gegenüber Menschen empfindet. Wie man beim Menschen hinter einem Lächeln Heiterkeit der Seele, hinter Tränen eine bestimmte andere Empfindung wahrnimmt, so wurde der Schüler angeleitet, auch in der Natur die Entsprechungen zwischen der Physiognomie und dem Seelischen zu erkennen. Ein Okkultist ist derjenige, der mit seinen Empfindungen in diesen Dingen ganz in das Konkrete hineingehen kann. Dem Schüler wurde beim Hineinschauen in die Natur gesagt: Alles ist Physiognomie und Ausdruck eines Geistigen. – Die Pflanze mit leuchtenden Farben erscheint ihm als lächelnde Miene des Erdgeistes – eine andere als die Miene des trauernden Erdgeistes. So trägt der Okkultist Gefühlseindrücke durch die ganze Welt.

Der Kristall lässt keusch das Licht hindurch. In ihm ist die Materie nicht von Begierde und Verlangen durchzogen. Die menschliche Materie ist vollkommener, aber sie ist von Schmerz und Freude, Begierde und Leidenschaften durchzogen. Einmal wird die menschliche Materie so keusch und edel wie die des Kristalls sein. So wurde das Gemüt des Schülers darauf gestimmt, Vorbilder der künftigen Fleischesentwickelung in der Natur zu sehen. Mit der gleichen Objektivität, mit welcher der Mathematiker räumliche Gebilde imaginiert, erscheinen dem Okkultisten die Gegenstände der äußeren Welt als Ausdruck der Seele der Welt. Wie es unmöglich ist, dass zwei Mathematiker über einen Lehrsatz Verschiedenes lehren, so ist es unmöglich, dass zwei, die wirklich in das höhere Wissen eingedrungen sind, verschieden empfinden. Es gibt über das Mystische ebenso wenig einen Streit wie über das Mathematische.

Wenn der Schüler so geübt und schließlich für reif befunden war, wurde ihm eine andere Vorstellung beigebracht. Er sollte das Schönste, Reinste und doch Anfechtbarste kennenlernen. Da wurde ihm gesagt: Sieh dir die Pflanze an. Ihr Kelch ist der Sonne zugewandt. Vom Sonnenstrahl wird sie im Wachstum beeinflusst und erhalten. Sie streckt ihre Fortpflanzungsorgane keusch der Sonne entgegen. Was jetzt beim Menschen und Tier schamvoll verhüllt ist, ist bei der Pflanze keusch gegen die Sonne gerichtet. Siehe zurück in urferne Zeiten. Damals war der Mensch auf der Stufe, auf der die Pflanze zurückgeblieben ist. Da hatte auch er seine Fortpflanzungsorgane gegen die Sonne gerichtet. Der Kopf, die Wurzel, war in der Erde. Die Mystiker haben immer gewusst, dass der Mensch eine umgekehrte Pflanze ist. Erst im Laufe der Entwickelung ist er weitergeschritten, wurde zuerst horizontal wie das Tier und nahm dann die heutige aufrechte Menschengestalt an. Er ging durch das Pflanzen- und das Tierreich hindurch zum Menschenreich. Darauf hat Plato gedeutet, wenn er sagte: Die Weltenseele ist an den Weltenleib gekreuzigt. – Der Mensch ist aber noch nicht am Ende seiner Entwickelung. Er ist in einem Durchgangsstadium, indem er die Begierde überwinden und zu höherer Geistigkeit durchdringen muss. In demjenigen, was er von der Sonne abwendet, muss die Begierde überwunden und zu höherer Geistigkeit hindurchgedrungen werden. Dann wird der Mensch so rein und keusch wie die Pflanze der höheren geistigen Sonne den Kelch seines Wesens entgegentragen.

Dieses Ideal des vergeistigten Pflanzenkelches wurde denen vor Augen gestellt, die Schüler des Heiligen Grals waren. Jene heilige Schale sei der Pflanzenkelch, der durch das Tierische hindurchgegangen ist und wieder zur Geistigkeit geläutert wurde. Zu dem Schüler wurde gesprochen: Dieser Kelch, der die Strahlen der geistigen Sonne in sich aufnimmt, ist im menschlichen Organismus veranlagt. – Der Mensch hat fertige Organe und solche, die sich erst in der Zukunft herausbilden werden. Ähnlich wie wir jetzt durch das Wort die Luftwelle hervorbringen, so wird in ferner Zeit die Art sein, wie der Mensch seinesgleichen hervorbringt. Wenn der Mensch sich mit solchen Empfindungen durchdrang, dann konnte er zur Karfreitags- und Osterzeit in jenen Geheimfesten fühlen, wie aus den Pflanzen eine Triebkraft hervorsprießt, die in der Zukunft gereinigt und geläutert auch im Menschen erscheinen wird. Insbesondere am Karfreitag wurde dieses Heraussprießen erlebt zugleich mit der Empfindung, dass durch Christi Opfertod ein Unterpfand gegeben sei, dass der Mensch sich zum Besitz des Heiligen Grales emporringen könne. Der Blutsaft Christi macht den Menschen rein, so wie die Pflanze von reinem Saft durchströmt ist. Dies erlebten die Schüler in den feierlichsten Augenblicken. Dann fühlten sie sich als Wissende. Der Erlösungsgedanke stand klar vor ihnen, indem der Zusammenhang des Opfertodes Christi mit der sprießenden Pflanze empfunden wurde. Diese Idee stand immer vor Richard Wagner.

Wagner stellte die Geburt des Ich und des Egoismus in der Gestalt des Alberich dar. Er benützte dazu den Es-Dur-Orgelpunkt.

Im Jahre 1856 versuchte er das Rätsel des Erdenlebens in dem Stück „Die Sieger“ auszugestalten: Ein Jüngling wird von einem Tschandalamädchen geliebt. Die Kastenunterschiede aber sind so groß, dass er dadurch veranlasst wird, sich von dem Mädchen abzuwenden, um ein Buddhaschüler zu werden. Durch den großen Schmerz, den das Mädchen dadurch erfährt, wird ihr klar, dass sie in einem früheren Leben ein Brahmane war und damals die Hand eines Tschandalamädchens ausgeschlagen habe. So suchte Wagner nach einer Darstellung des Begreifens des Weltgedankens.

Am Karfreitag des Jahres 1857 stand Richard Wagner vor der Villa Wesendonck in Zürich und blickte auf den Zürichsee und die Fluren hinaus. Da kam ihm aus den sprießenden Pflanzen der Gedanke über den Zusammenhang zwischen Erlösung und dem Pflanzendasein entgegen. In seinem Herzen tauchte wie ein Bild die Grundempfindung auf, die die Gralsschüler immer gehabt hatten: vom Kelchideal. Später suchte er dann die Töne, um die Entwickelung auszudrücken, die vom Pflanzenkelch zum Gralskelch führt. Dadurch fand er den Frieden seines Wähnens.

In der Keimanlage war der Parzival-Gedanke in der neueren Kultur immer verborgen da. Goethe schildert in seinem Gedicht „Die Geheimnisse“, wie ein Jüngling durch den Wald zu einem Kloster wandert und dort in die Gemeinschaft der Eingeweihten aufgenommen wird. Dieser Jüngling erscheint wie ein Parzival, der zur Gralsburg wandert. Goethe hat später einer Studentenverbindung, die ihn darüber befragte, dieses Gedicht erklärt: In der Welt gebe es viele religiöse Anschauungen. Jeder der zwölf Männer in dem Kloster, in das der Bruder Markus kommt, sei der Repräsentant einer solchen. Der Dreizehnte in ihrer Mitte sei der Führer.

Goethe hat in dieser Dichtung die okkulte Loge dargestellt, in der es keinen Streit der Meinungen, sondern nur Liebe gibt. Der Wanderer sieht, als er an das Kloster kommt, ein Kreuz über der Klosterpforte, welches mit Rosen umschlungen ist. Er fragt: Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt? – In dem Zeichen des Rosenkreuzes drückt sich ein Gedanke aus, der durch die ganze Weltenentwickelung hindurchgeht. Wer das Ideal und das Symbol versteht, kann ihn überall finden. Die alte Legende erzählt, wie Kain den Zugang zum Paradies suchte. Nicht er, sondern Seth wurde hineingelassen. Seth findet dort die beiden ineinander verschlungenen Bäume der Erkenntnis und des Lebens. Er nimmt davon drei Samenkörner und legt sie dem sterbenden Adam auf die Zunge. Ein Baum wächst hervor. Das ist derselbe Baum, an welchem Moses die Flammenbildung wahrnimmt und das Wort hört: „Ich bin, der da war, der da ist und der da sein wird.“ Von diesem Baum wird der Stab des Moses genommen. Aus seinem Holz ist die Pforte des salomonischen Tempels, die Brücke, über die Christus schritt, als er zum Ölberg ging, und schließlich das Kreuz von Golgatha. Die Gralsanschauung hat hinzugefügt: Als das Holz trocken und zum Kreuz geworden war, da trieb es lebendige Sprossen als Unterpfand des ewigen Lebens. Dieses sah der Gralsschüler in der Gestalt der Rosen. Hier reichen sich Vergangenheit und Zukunft die Hand. Goethe berührt dieses Geheimnis in solchen Versen: „Sagt es niemand, nur dem Weisen, / Weil die Menge gleich verhöhnet…“

Diese Stimmung liegt auch dem Wort zugrunde: Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt? – Am intensivsten hat Wagner diese Evolutionsstufe im „Parsifal“ dargestellt. Alles was Parsifal tut, ist sinnvoll. Er tut nichts Äußerliches. Er darf in der übersinnlichen Welt tätig sein. Er leistet am meisten da, wo er die höchste Höhe seiner inneren Entwickelung erreicht.

Dies tönt so wunderbar durch Wagners letzte Dichtung. Wenn wir jene heilige Schar, die sich um den Gral versammelt, sehen, dazu Parsifal, der erst tötet – er schießt den Schwan – und dann Erlöser wird, so verstehen wir, was Wagner meinte mit den Worten „des Wähnens Frieden finden“. Er hat zeigen wollen, dass mit dem Musikalischen zu erreichen ist, was mit der dramatischen Kunst nicht erreicht worden war. Bis jetzt hat die Musik nur innere Gefühle zum Ausdruck gebracht. Andererseits ist das Wort „Drama“ als aufdringlich empfunden worden. Die tiefsten Empfindungen setzen da ein, wo die Worte aufhören. Wagner suchte nach einem Verbindungsglied. Das sollte das Musikdrama sein. Das äußere Wort sollte im gegebenen Augenblick aufhören und der Musik den Raum freigeben. Ohne den „Parsifal“ hätte Wagner das Ideal seines Strebens nicht erreicht.

Da wo er am höchsten ins Übersinnliche vordrang, brauchte er das intimste Musikalische. Im „Parsifal“ fand er den reinsten und guten Ausdruck dafür. Er hat als Künstler und Musiker darzustellen versucht, was in ihm als Musiker gelebt hat.

KASSEL, 16. JANUAR 1907

(GA 97, S. 257-262)

Hier, wo mein Wähnen Frieden fand,
Wahnfried sei dieses Haus von mir benannt


Diese Worte schrieb Richard Wagner über das Haus, das er sich in Bayreuth erbaute. Er hatte dieses Haus tief ersehnt. Alles Leben hatte er als Streben und Wähnen empfunden. Den Frieden seines Wähnens fand er in seinem Bühnenweihespiel „Parsifal“.

Man glaubt meistens, dass ein Kunstwerk wie Wagners „Parsifal“ so entstehe, als ob der Künstler alle Gedanken, die dann gefunden werden können, bewusst hineingelegt habe. So fasst aber niemals ein Mystiker das von ihm geschaffene Werk auf. Auch die Pflanze kennt die Gesetze nicht, die der Botaniker in ihr findet. Unsichtbare Mächte schwebten über Richard Wagner. Von ihnen stammt, was im „Parsifal“ liegt. In Wagner lebte vieles von dem, was wir Geheimschulung nennen. Eine wunderbare Wirkung kann davon ausgehen, wenn man die Entwickelung seiner Persönlichkeit durch sein Leben hindurch verfolgt. Man beobachtet dann, wie in ihm Wahrheiten aufdämmern, die jahrhundertelang in den Geheimschulen systematisch gepflegt worden sind.

Führen wir uns vor Augen, in welcher Weise die Geheimschüler in solche Geheimnisse eingeführt wurden, wie sie später in Wagner instinktiv auflebten. Mannigfaltige Übungen des Körpers und der Seele wurden da vorgenommen, wodurch eine intime Formung des okkulten Vorstellungsvermögens eintrat. Der Lehrer erweckte in dem Schüler vor allem eine Grundempfindung, um in ihm ein intimes Verhältnis zu der umgebenden Natur hervorzurufen. Der Schüler wurde durch die Naturreiche geführt und angeleitet, der Natur gegenüber ebenso zu empfinden, wie man gegenüber Menschen empfindet. Wie man beim Menschen hinter einem Lächeln Heiterkeit der Seele, hinter Tränen eine bestimmte andere Empfindung wahrnimmt, so wurde der Schüler angeleitet, auch in der Natur die Entsprechungen zwischen der Physiognomie und dem Seelischen zu erkennen. Ein Okkultist ist derjenige, der mit seinen Empfindungen in diesen Dingen ganz in das Konkrete hineingehen kann. Dem Schüler wurde beim Hineinschauen in die Natur gesagt: Alles ist Physiognomie und Ausdruck eines Geistigen. – Die Pflanze mit leuchtenden Farben erscheint ihm als lächelnde Miene des Erdgeistes – eine andere als die Miene des trauernden Erdgeistes. So trägt der Okkultist Gefühlseindrücke durch die ganze Welt.

Der Kristall lässt keusch das Licht hindurch. In ihm ist die Materie nicht von Begierde und Verlangen durchzogen. Die menschliche Materie ist vollkommener, aber sie ist von Schmerz und Freude, Begierde und Leidenschaften durchzogen. Einmal wird die menschliche Materie so keusch und edel wie die des Kristalls sein. So wurde das Gemüt des Schülers darauf gestimmt, Vorbilder der künftigen Fleischesentwickelung in der Natur zu sehen. Mit der gleichen Objektivität, mit welcher der Mathematiker räumliche Gebilde imaginiert, erscheinen dem Okkultisten die Gegenstände der äußeren Welt als Ausdruck der Seele der Welt. Wie es unmöglich ist, dass zwei Mathematiker über einen Lehrsatz Verschiedenes lehren, so ist es unmöglich, dass zwei, die wirklich in das höhere Wissen eingedrungen sind, verschieden empfinden. Es gibt über das Mystische ebenso wenig einen Streit wie über das Mathematische.

Wenn der Schüler so geübt und schließlich für reif befunden war, wurde ihm eine andere Vorstellung beigebracht. Er sollte das Schönste, Reinste und doch Anfechtbarste kennenlernen. Da wurde ihm gesagt: Sieh dir die Pflanze an. Ihr Kelch ist der Sonne zugewandt. Vom Sonnenstrahl wird sie im Wachstum beeinflusst und erhalten. Sie streckt ihre Fortpflanzungsorgane keusch der Sonne entgegen. Was jetzt beim Menschen und Tier schamvoll verhüllt ist, ist bei der Pflanze keusch gegen die Sonne gerichtet. Siehe zurück in urferne Zeiten. Damals war der Mensch auf der Stufe, auf der die Pflanze zurückgeblieben ist. Da hatte auch er seine Fortpflanzungsorgane gegen die Sonne gerichtet. Der Kopf, die Wurzel, war in der Erde. Die Mystiker haben immer gewusst, dass der Mensch eine umgekehrte Pflanze ist. Erst im Laufe der Entwickelung ist er weitergeschritten, wurde zuerst horizontal wie das Tier und nahm dann die heutige aufrechte Menschengestalt an. Er ging durch das Pflanzen- und das Tierreich hindurch zum Menschenreich. Darauf hat Plato gedeutet, wenn er sagte: Die Weltenseele ist an den Weltenleib gekreuzigt. – Der Mensch ist aber noch nicht am Ende seiner Entwickelung. Er ist in einem Durchgangsstadium, indem er die Begierde überwinden und zu höherer Geistigkeit durchdringen muss. In demjenigen, was er von der Sonne abwendet, muss die Begierde überwunden und zu höherer Geistigkeit hindurchgedrungen werden. Dann wird der Mensch so rein und keusch wie die Pflanze der höheren geistigen Sonne den Kelch seines Wesens entgegentragen.

Dieses Ideal des vergeistigten Pflanzenkelches wurde denen vor Augen gestellt, die Schüler des Heiligen Grals waren. Jene heilige Schale sei der Pflanzenkelch, der durch das Tierische hindurchgegangen ist und wieder zur Geistigkeit geläutert wurde. Zu dem Schüler wurde gesprochen: Dieser Kelch, der die Strahlen der geistigen Sonne in sich aufnimmt, ist im menschlichen Organismus veranlagt. – Der Mensch hat fertige Organe und solche, die sich erst in der Zukunft herausbilden werden. Ähnlich wie wir jetzt durch das Wort die Luftwelle hervorbringen, so wird in ferner Zeit die Art sein, wie der Mensch seinesgleichen hervorbringt. Wenn der Mensch sich mit solchen Empfindungen durchdrang, dann konnte er zur Karfreitags- und Osterzeit in jenen Geheimfesten fühlen, wie aus den Pflanzen eine Triebkraft hervorsprießt, die in der Zukunft gereinigt und geläutert auch im Menschen erscheinen wird. Insbesondere am Karfreitag wurde dieses Heraussprießen erlebt zugleich mit der Empfindung, dass durch Christi Opfertod ein Unterpfand gegeben sei, dass der Mensch sich zum Besitz des Heiligen Grales emporringen könne. Der Blutsaft Christi macht den Menschen rein, so wie die Pflanze von reinem Saft durchströmt ist. Dies erlebten die Schüler in den feierlichsten Augenblicken. Dann fühlten sie sich als Wissende. Der Erlösungsgedanke stand klar vor ihnen, indem der Zusammenhang des Opfertodes Christi mit der sprießenden Pflanze empfunden wurde. Diese Idee stand immer vor Richard Wagner.

Wagner stellte die Geburt des Ich und des Egoismus in der Gestalt des Alberich dar. Er benützte dazu den Es-Dur-Orgelpunkt.

Im Jahre 1856 versuchte er das Rätsel des Erdenlebens in dem Stück „Die Sieger“ auszugestalten: Ein Jüngling wird von einem Tschandalamädchen geliebt. Die Kastenunterschiede aber sind so groß, dass er dadurch veranlasst wird, sich von dem Mädchen abzuwenden, um ein Buddhaschüler zu werden. Durch den großen Schmerz, den das Mädchen dadurch erfährt, wird ihr klar, dass sie in einem früheren Leben ein Brahmane war und damals die Hand eines Tschandalamädchens ausgeschlagen habe. So suchte Wagner nach einer Darstellung des Begreifens des Weltgedankens.

Am Karfreitag des Jahres 1857 stand Richard Wagner vor der Villa Wesendonck in Zürich und blickte auf den Zürichsee und die Fluren hinaus. Da kam ihm aus den sprießenden Pflanzen der Gedanke über den Zusammenhang zwischen Erlösung und dem Pflanzendasein entgegen. In seinem Herzen tauchte wie ein Bild die Grundempfindung auf, die die Gralsschüler immer gehabt hatten: vom Kelchideal. Später suchte er dann die Töne, um die Entwickelung auszudrücken, die vom Pflanzenkelch zum Gralskelch führt. Dadurch fand er den Frieden seines Wähnens.

In der Keimanlage war der Parzival-Gedanke in der neueren Kultur immer verborgen da. Goethe schildert in seinem Gedicht „Die Geheimnisse“, wie ein Jüngling durch den Wald zu einem Kloster wandert und dort in die Gemeinschaft der Eingeweihten aufgenommen wird. Dieser Jüngling erscheint wie ein Parzival, der zur Gralsburg wandert. Goethe hat später einer Studentenverbindung, die ihn darüber befragte, dieses Gedicht erklärt: In der Welt gebe es viele religiöse Anschauungen. Jeder der zwölf Männer in dem Kloster, in das der Bruder Markus kommt, sei der Repräsentant einer solchen. Der Dreizehnte in ihrer Mitte sei der Führer.

Goethe hat in dieser Dichtung die okkulte Loge dargestellt, in der es keinen Streit der Meinungen, sondern nur Liebe gibt. Der Wanderer sieht, als er an das Kloster kommt, ein Kreuz über der Klosterpforte, welches mit Rosen umschlungen ist. Er fragt: Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt? – In dem Zeichen des Rosenkreuzes drückt sich ein Gedanke aus, der durch die ganze Weltenentwickelung hindurchgeht. Wer das Ideal und das Symbol versteht, kann ihn überall finden. Die alte Legende erzählt, wie Kain den Zugang zum Paradies suchte. Nicht er, sondern Seth wurde hineingelassen. Seth findet dort die beiden ineinander verschlungenen Bäume der Erkenntnis und des Lebens. Er nimmt davon drei Samenkörner und legt sie dem sterbenden Adam auf die Zunge. Ein Baum wächst hervor. Das ist derselbe Baum, an welchem Moses die Flammenbildung wahrnimmt und das Wort hört: „Ich bin, der da war, der da ist und der da sein wird.“ Von diesem Baum wird der Stab des Moses genommen. Aus seinem Holz ist die Pforte des salomonischen Tempels, die Brücke, über die Christus schritt, als er zum Ölberg ging, und schließlich das Kreuz von Golgatha. Die Gralsanschauung hat hinzugefügt: Als das Holz trocken und zum Kreuz geworden war, da trieb es lebendige Sprossen als Unterpfand des ewigen Lebens. Dieses sah der Gralsschüler in der Gestalt der Rosen. Hier reichen sich Vergangenheit und Zukunft die Hand. Goethe berührt dieses Geheimnis in solchen Versen: „Sagt es niemand, nur dem Weisen, / Weil die Menge gleich verhöhnet…“

Diese Stimmung liegt auch dem Wort zugrunde: Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt? – Am intensivsten hat Wagner diese Evolutionsstufe im „Parsifal“ dargestellt. Alles was Parsifal tut, ist sinnvoll. Er tut nichts Äußerliches. Er darf in der übersinnlichen Welt tätig sein. Er leistet am meisten da, wo er die höchste Höhe seiner inneren Entwickelung erreicht.

Dies tönt so wunderbar durch Wagners letzte Dichtung. Wenn wir jene heilige Schar, die sich um den Gral versammelt, sehen, dazu Parsifal, der erst tötet – er schießt den Schwan – und dann Erlöser wird, so verstehen wir, was Wagner meinte mit den Worten „des Wähnens Frieden finden“. Er hat zeigen wollen, dass mit dem Musikalischen zu erreichen ist, was mit der dramatischen Kunst nicht erreicht worden war. Bis jetzt hat die Musik nur innere Gefühle zum Ausdruck gebracht. Andererseits ist das Wort „Drama“ als aufdringlich empfunden worden. Die tiefsten Empfindungen setzen da ein, wo die Worte aufhören. Wagner suchte nach einem Verbindungsglied. Das sollte das Musikdrama sein. Das äußere Wort sollte im gegebenen Augenblick aufhören und der Musik den Raum freigeben. Ohne den „Parsifal“ hätte Wagner das Ideal seines Strebens nicht erreicht.

Da wo er am höchsten ins Übersinnliche vordrang, brauchte er das intimste Musikalische. Im „Parsifal“ fand er den reinsten und guten Ausdruck dafür. Er hat als Künstler und Musiker darzustellen versucht, was in ihm als Musiker gelebt hat.