Tannhäuser

Der Tannhäuser-Skandal

Brief von Richard Wagner

Bericht über die Aufführung des Tannhäuser in Paris

Paris, 27. März 1861

Ich habe ihnen versprochen, einmal genau über meine ganze Pariser Tannhäuser-Angelegenheit zu berichten; jetzt wo diese eine so entschiedene Wendung genommen hat und von mir vollständig überblickt werden kann, ist es mir selbst eine Genugtuung, durch eine ruhige Darstellung – wie für mich selbst – darüber zum Abschluss zu kommen. Recht begreifen, welche Bewandtnis es eigentlich hiermit hatte, könnt ihr alle nur, wenn ich zugleich berühre, was mich wirklich bestimmte, überhaupt nach Paris zu gehen. Lassen Sie mich also von da beginnen.
Nach fast zehnjähriger Entfernung von aller Möglichkeit, durch Beteiligung an guten Aufführungen meiner dramatischen Kompositionen mich – wenn auch nur periodisch – zu erfrischen, fühlte ich mich endlich gedrängt, eine Übersiedelung nach einem Ort in das Auge zu fassen, der jene notwendigen lebendigen Berührungen mit meiner Kunst mit der Zeit mir ermöglichen könnte. Ich hoffte diesen Punkt in einer bescheidenen Ecke Deutschlands finden zu können. Den Großherzog von Baden, der mir in rührender Wohlgeneigtheit bereits die Aufführung meines neuesten Werkes unter meiner persönlichen Mitwirkung in Karlsruhe zugesagt hatte, ging ich im Sommer 1859 auf das Inständigste an, mir statt des in Aussicht gestellten temporären Aufenthaltes sofort eine dauernde Niederlassung in seinem Lande erwirken zu mögen, da ich anderenfalls nichts weiter ergreifen könnte, als nach Paris zu gehen, um dort mein dauerndes Domizil aufzuschlagen. Die Erfüllung meiner Bitte war – unmöglich.

Als ich mich nun im Herbst desselben Jahres nach Paris übersiedelte, behielt ich immer noch die Aufführung meines „Tristan“ im Auge, zu der ich für den 3. Dezember nach Karlsruhe berufen zu werden hoffte; einmal unter meiner Mitwirkung zur Aufführung gelangt, glaubte ich das Werk dann den übrigen Theatern Deutschlands überlassen zu können; die Aussicht, mit meinen übrigen Arbeiten in Zukunft ebenso verfahren zu dürfen, genügte mir, und Paris behielt, in dieser Annahme, für mich das einzige Interesse, von Zeit zu Zeit dort ein vorzügliches Quartett, ein ausgezeichnetes Orchester hören, und so mich im erfrischenden Verkehre wenigstens mit den lebendigen Organen meiner Kunst erhalten zu können. Dies änderte sich mit einem Schlage, als man mir aus Karlsruhe meldete, dass die Aufführung des „Tristan“ sich dort als unmöglich herausgestellt hätte. Meine schwierige Lage gab mir sofort den Gedanken ein, für das folgende Frühjahr mir bekannte vorzügliche deutsche Sänger nach Paris einzuladen, um mit ihnen im Saale der Italienischen Oper die von mir gewünschte Musteraufführung meines neuen Werkes zustande zu bringen; zu dieser wollte ich die Dirigenten und Regisseure mir befreundeter deutscher Theater ebenfalls einladen, um so Dasselbe zu erreichen, was ich zuvor mit der Karlsruher Aufführung im Auge gehabt hatte. Da ohne eine größere Beteiligung des Pariser Publikums die Ausführung meines Planes unmöglich war, musste ich dieses selbst zuvor zur Teilnahme an meiner Musik zu bestimmen suchen, und zu diesem Zwecke unternahm ich die bekannt gewordenen drei im Italienischen Theater gegebenen Konzerte. Der in Bezug auf Beifall und Teilnahme höchst günstige Erfolg dieser Konzerte konnte leider das von mir ins Auge gefasste Hauptunternehmen nicht fördern, da eben hierbei die Schwierigkeit eines jeden solchen Unternehmens sich mir deutlich herausstellte, und andererseits schon die Unmöglichkeit, die von mir gewählten deutschen Sänger zu gleicher Zeit in Paris zu versammeln, mich zum Verzichte bestimmen musste.

Während ich nun, nach jeder Seite hin gehemmt, nochmals schwer sorgend meinen Blick nach Deutschland wandte, erfuhr ich zu meiner vollen Überraschung, dass meine Lage am Hofe der Tuilerien zum Gegenstande eifriger Besprechung und Befürwortung geworden war. Der bis dahin mir fast ganz unbekannt gebliebenen außerordentlich freundlichen Teilnahme mehrerer Glieder der hiesigen deutschen Gesandtschaften hatte ich diese mir so günstig Bewegung zu verdanken. Diese führte soweit, dass der Kaiser, als auch eine von ihm besonders geehrte deutsche Fürstin ihm die empfehlendste Auskunft über meinen am meisten genannten „Tannhäuser“ gab, sofort den Befehl zur Aufführung dieser Oper in der Académie impériale de musique erließ.

Leugne ich nun nicht, dass ich, wenn auch zunächst hocherfreut von diesem ganz unerwarteten Zeugnisse für den Erfolg meiner Werke in gesellschaftlichen Kreisen, denen ich persönlich so fern gestanden hatte, dennoch bald nur mit großer Beklemmung an eine Aufführung des „Tannhäuser“ gerade eben in jenem Theater denken konnte. Wem war es denn klarer als mir, dass dieses große Operntheater längst jeder ernstlichen künstlerischen Tendenz sich entfremdet hat, dass in ihm ganz andere Forderungen als die der dramatischen Musik sich zur Geltung gebracht haben, und dass die Oper selbst dort nur noch zum Vorwande für das Ballett geworden ist? In Wahrheit hatte ich, als ich in den letzten Jahren wiederholte Aufforderung erhielt, an die Aufführung eines meiner Werke in Paris zu denken, nie die sogenannte Große Oper ins Auge gefasst, sondern – für einen Versuch – vielmehr das bescheidene Théâtre lyrique, und dies namentlich aus den beiden Gründen, weil hier keine bestimmte Klasse des Publikums tonangebend ist, und – dank der Armut seiner Mittel! – das eigentliche Ballett hier sich noch nicht zum Mittelpunkte der ganzen Kunstleistung ausgebildet hat. Auf eine Aufführung des „Tannhäuser“ hatte aber der Direktor dieses Theaters, nachdem er wiederholt von selbst darauf verfallen war, verzichten müssen, namentlich weil er keinen Tenor fand, welcher der schwierigen Hauptpartie gewachsen gewesen wäre.

Wirklich zeigte es sich nun sogleich bei meiner ersten Unterredung mit dem Direktor der Großen Oper, dass als nötigste Bedingung für den Erfolg der Aufführung des „Tannhäuser“ die Einführung eines Balletts, und zwar im zweiten Akte, festzusetzen wäre. Hinter die Bedeutung dieser Forderung sollte ich erst kommen, als ich erklärte, unmöglich den Gang gerade dieses zweiten Aktes durch ein in jeder Hinsicht hier sinnloses Ballett stören zu können, dagegen aber im ersten Akte, am üppigen Hofe der Venus, die allergeeignetste Veranlassung zu einer choreografischen Szene von ergiebigster Bedeutung ersehen zu dürfen, hier, wo ich selbst bei meiner ersten Abfassung des Tanzes nicht entbehren zu können geglaubt hatte. Wirklich reizte mich sogar die Aufgabe, hier einer unverkennbaren Schwäche meiner früheren Partitur abzuhelfen, und ich entwarf einen ausführlichen Plan, nach welchem diese Szene im Venusberge zu einer großen Bedeutung erhoben werden sollte. Diesen Plan wies nun der Direktor entschieden zurück und entdeckte mir offen, es handele sich bei der Aufführung einer Oper nicht allein um einen Ballett, sondern namentlich darum, dass dieses Ballett in der Mitte des Theaterabends getanzt werde; denn erst um diese Zeit träten diejenigen Abonnenten, denen das Ballett fast ausschließlich angehöre, in ihrer Logen, da sie erst sehr spät zu dinieren pflegten; ein im Anfange ausgeführtes Ballett könne diesen daher nicht genügen, weil sie eben nie im ersten Akte zugegen wären. Diese und ähnliche Erklärungen wurden mir späterhin auch vom Staatsminister selbst wiederholt, und von der Erfüllung der darin ausgesprochenen Bedingungen jede Möglichkeit eines guten Erfolges so bestimmt abhängig dargestellt, dass ich bereits auf das ganze Unternehmen verzichten zu müssen glaubte.

Während ich so, lebhafter als je, wieder an meine Rückkehr nach Deutschland dachte und mit Sorge nach dem Punkte ausspähte, der mir zur Aufführung meiner neuen Arbeiten als Anhalt geboten werden möchte, sollte ich nun aber die günstigste Meinung von der Bedeutung des kaiserlichen Befehles gewinnen, der mir das ganze Institut der Großen Oper, sowie jedes von mir nötig befundene Engagement, im reichsten Maße rückhaltlos und unbedingt zur Verfügung stellte. Jede von mir gewünschte Akquisition ward, ohne irgend welche Rücksicht auf die Kosten, sofort ausgeführt; in Bezug auf Inszenesetzung wurde mit einer Sorgfalt verfahren, von der ich zuvor noch keinen Begriff hatte. Unter so ganz mir ungewohnten Umständen nahm mich bald immer mehr der Gedanke ein, die Möglichkeit einer durchaus vollständigen, ja idealen Aufführung vor mir zu sehen. Das Bild einer solchen Aufführung selbst, fast gleichviel von welchem meiner Werke, ist es, was mich seit langem, seit meinem Zurückziehen von unserem Operntheater, ernstlich beschäftigt; was mir nie und nirgends zu Gebote gestellt, sollte ganz unerwartet hier in Paris mir zur Verfügung stehen, und zwar zu einer Zeit, wo keine Bemühung imstande gewesen, mir auch nur eine entfernt ähnliche Vergünstigung auf deutschem Boden zu verschaffen. Gestehe ich es offen, dieser Gedanke erfüllte mich mit einer seit lange nicht gekannten Wärme, welche vielleicht eine sich einmischende Bitterkeit nur zu steigern vermochte. Nichts Anderes ersah ich bald mehr vor mir, als die Möglichkeit einer vollendet schönen Aufführung, und in der andauernden, angelegentlichen Sorge, diese Möglichkeit zu verwirklichen, ließ ich alles und jedes Bedenken ohne Macht auf mich zu wirken: gelange ich zu Dem, was ich für möglich halten darf – so sagte ich mir –, was kümmert mich dann der Jockeyclub und sein Ballett!

Von nun an kannte ich nur noch die Sorge für die Aufführung. Ein französischer Tenor, so erklärte mir der Direktor, sei für die Partie des Tannhäuser nicht vorhanden. Von dem glänzenden Talente des jugendlichen Sängers Niemann unterrichtet, bezeichnete ich ihn, den ich zwar selbst nie gehört hatte, für die Hauptrolle; da er namentlich auch einer leichten französischen Aussprache mächtig war, wurde sein auf das Sorgfältigste eingeleitetes Engagement mit großen Opfern abgeschlossen. Mehrere andere Künstler, namentlich der Baritonist Morelli, verdankten ihr Engagement einzig meine Wunsche, sie für mein Werk zu besitzen. Im Übrigen zog ich einigen hier bereits beliebten ersten Sängern, weil mich ihre zu fertige Manier störte, jugendliche Talente vor ,weil ich sie leichter für meinen Style zu bilden hoffen durfte. Die bei uns ganz unbekannte Sorgsamkeit, mit welcher hier die Gesangsproben am Klavier geleitet werden, überraschte mich, und unter der verständigsten und feinsinnigsten Leitung des Chef du chant Bauthrot sah ich bald unsere Studien zu einer seltenen Reife gedeihen. Namentlich freute es mich, wie nach und nach die jüngeren französischen Talente zum Verständnisse der Sache gelangten, und Lust und Liebe zur Aufgabe fassten.

So hatte auch ich selbst wieder eine neue Lust zu diesem meinem älteren Werke gefasst: auf das Sorgfältigste arbeitete ich die Partitur von neuem durch, verfasste die Szene der Venus sowie die vorangehende Ballettszene ganz neu, und suchte namentlich auch überall den Gesang mit dem übersetzten Texte in genaueste Übereinstimmung zu bringen.

Hatte ich nun mein ganzes Augenmerk einzig auf die Aufführung gerichtet und hierüber jede andere Rücksicht aus der Acht gelassen, so begann auch endlich mein Kummer nur mit dem Innewerden Dessen, dass eben diese Aufführung sich nicht auf der von mir erwarteten Höhe halten würde. Es fällt mir schwer, Ihnen genau zu bezeichnen, in welchen Punkten ich mich schließlich enttäuscht sehen musste. Das Bedenklichste war jedenfalls, dass der Sänger der schwierigen Hauptrolle, je mehr wir uns der Aufführung näherten, in Folge seines nötig erachteten Verkehres mit den Rezensenten, welche ihm den unerlässlichen Durchfall meiner Oper voraussagten, in wachsende Entmutigung verfiel. Die günstigsten Hoffnungen, die ich im Laufe der Klavierproben genährt, sanken immer tiefer, je mehr wir uns mit der Szene und dem Orchester berührten. Ich sah, dass wir wieder auf dem Niveau einer gewöhnlichen Opernaufführung ankamen, und dass alle Forderungen, die weit darüber hinausführen sollten, unerfüllt bleiben mussten. In diesem Sinne, den ich natürlich von Anfang nicht zuließ, fehlte nun aber, was einer solchen Opernleistung einzig noch zur Auszeichnung dienen kann: irgend ein bedeutendes, vom Publikum bereits lieb gewonnenes und lieb gehaltenes Talent, wogegen ich mit fast lauter Neulingen auftrat. Am meisten betrübte mich schließlich, dass ich die Direktion des Orchesters, durch welche ich noch großen Einfluss auf den Geist der Aufführung hätte ausüben können, den Händen des angestellten Orchesterchefs nicht zu entwinden vermochte; und, dass ich so mit trübseliger Resignation (denn meine gewünschte Zurückziehung der Partitur war nicht angenommen worden) in eine geist- und schwunglose Aufführung meines Werkes willigen musste, macht noch jetzt meinen wahren Kummer aus.

Welcher Art die Aufnahme meiner Oper von Seiten des Publikum sein würde, blieb mir unter solchen Umständen fast gleichgültig: die glänzendste hätte mich nicht bewegen können, einer längeren Reihe von Aufführungen selbst beizuwohnen, da ich gar zu wenig Befriedigung daraus gewann. Über den Charakter dieser Aufnahme sind sie bisher aber, wie es mir scheint, geflissentlich noch im Unklaren gehalten worden, und sie würden sehr Unrecht tun, wenn sie daraus über das Pariser Publikum im Allgemeinen ein dem deutschen zwar schmeichelndes, in Wahrheit aber unrichtiges Urteil sich bilden wollten. Ich fahre dagegen fort, dem Pariser Publikum sehr angenehme Eigenschaften zuzusprechen, namentlich die einer sehr lebhaften Empfänglichkeit und eines wirklich großherzigen Gerechtigkeitgefühles. Ein Publikum, ich sage: ein ganzes Publikum, dem ich persönlich durchaus fremd bin, das durch Journale und müßige Plauderer täglich die abgeschmacktesten Dinge über mich erfuhr, und mit einer fast beispiellosen Sorgfalt gegen mich bearbeitet wurde, ein solches Publikum viertelstundenlang wiederholt mit den anstrengendsten Beifallsdemonstrationen gegen eine Clique für mich sich schlagen zu sehen, müsste mich, und wäre ich der Gleichgültigste, mit Wärme erfüllen. Ein Publikum, dem jeder Ruhige sofort die äußerste Eingenommenheit gegen mein Werk ansah, war aber durch eine wunderliche Fürsorge Derjenigen, welche am ersten Aufführungstage einzig die Plätze zu vergeben, und mir die Unterbringung meiner wenigen persönlichen Freunde fast ganz unmöglich gemacht hatten, an diesem Abende im Theater der Großen Oper versammelt; rechnen Sie hierzu die ganze Pariser Presse, welche bei solchen Gelegenheiten offiziell eingeladen wird, und deren feindseligste Tendenz gegen mich Sie einfach aus ihren Berichten entnehmen können, so glauben Sie wohl, dass ich von einem großen Siege vermeine sprechen zu dürfen, wenn ich Ihnen ganz wahrhaft zu berichten habe, dass der keineswegs hinreißenden Aufführung meines Werkes stärkerer und einstimmigerer Beifall geklatscht wurde, als ich persönlich es in Deutschland noch erlebt habe. Die eigentlichen Tonangeber der anfänglich vielleicht fast allgemeinen Opposition, mehrere, ja wohl alle hiesigen Musikrezesenten, welche bis dahin ihr Möglichstes aufgeboten hatten, die Aufmerksamkeit des Publikums vom Anhören abzuziehen, gerieten gegen Ende des Zweiten Aktes offenbar in Furcht, einem vollständigen und glänzenden Erfolge des „Tannhäuser“ beiwohnen zu müssen, und griffen nun zu dem Mittel, nach Stichworten, welche sie in den Generalproben verabredet hatten, in gröblichstes Gelächter auszubrechen, wodurch sie bereits am Schlusse des zweiten Aktes eine genügend störende Diversion zustande brachten, um eine bedeutende Manifestation beim Falle des Vorhanges zu schwächen. Dieselben Herren hatten in den Generalproben, an deren Besuch ich sie ebenfalls nicht zu hindern vermocht hatte, jedenfalls wahrgenommen, dass der eigentliche Erfolg der Oper in der Ausführung des dritten Aktes gewahrt liege. Eine vortreffliche Dekoration des Herrn Desplechin, das Tal vor der Wartburg in herbstlicher Abendbeleuchtung darstellend, übte in den Proben bereits auf alle Anwesenden den Zauber aus, durch welchen wachsend die für die folgenden Szenen nötige Stimmung unwiderstehlich sich erzeugte; von Seiten der Darsteller waren diese Szenen der Glanzpunkt der ganzen Leistung; ganz unübertrefflich schön wurde der Pilgerchor gesungen und szenisch ausgeführt; das Gebet der Elisabeth, von Fräulein Sax vollständig und mit ergreifendem Ausdrucke wiedergegeben, die Phantasie an den Abendstern, von Morelli mit vollendeter elegischer Zartheit vorgetragen, leiteten den besten Teil der Leistung Niemanns, die Erzählung der Pilgerfahrt, welche dem Künstler stets die lebhafteste Anerkennung gewann, so glücklich ein, dass ein ganz ausnahmsweise bedeutender Erfolg eben dieses dritten Aktes gerade auch dem feindseligsten Gegner meines Werkes gesichert erschien. Gerade an diesem Akt nun vergriffen sich die bezeichneten Häupter, und suchten jedes Aufkommen der nötigen gesammelten Stimmung durch Ausbrüche heftigen Lachens, wozu die geringfügigsten Anlässe kindische Vorwände bieten mussten, zu hindern. Von diesen widerwärtigen Demonstrationen unbeirrt, ließen weder meine Sänger sich werfen, noch das Publikum sich abhalten, ihren tapferen Anstrengungen, denen oft reichlich Beifall lohnte, seine teilnehmende Aufmerksamkeit zu widmen; am Schlusse aber wurde, beim stürmischen Hervorruf der Darsteller, endlich die Opposition gänzlich zu Boden gehalten.

Dass ich nicht gehirrt hatte, den Erfolg dieses Abends als einen vollständigen Sieg anzusehen, bewies mir die Haltung das Publikums am Abende der zweiten Aufführung; denn hier entschied es sich, mit welcher Opposition ich fortan es einzig nur noch zu tun haben sollte, nämlich mit dem hiesigen Jockeyclub, den ich so wohl nennen darf, da mit dem Rufe „a la porte les Jockeys“ das Publikum selbst laut und öffentlich meine Hauptgegner bezeichnet hat. Die Mitglieder dieses Clubs, deren Berechtigung dazu, sich für die Herren der Großen Oper anzusehen, ich Ihnen nicht näher zu erörtern nötig habe, und welche durch die Abwesenheit des üblichen Balletts um die Stunde ihres Eintrittes in das Theater, also gegen die Mitte der Vorstellung, in ihrem Interesse sich tief verletzt fühlten, waren mit Entsetzen inne geworden, dass der „Tannhäuser“ bei der ersten Aufführung eben nicht gefallen war, sondern in Wahrheit triumphiert hatte. Von nun an war es ihre Sache, zu verhindern, dass diese ballettlose Oper ihnen Abend für Abend vorgeführt würde, und zu diesem Zwecke hatte man sich, auf dem Wege vom Diner zur Oper, eine Anzahl Jagdpfeifen und ähnlicher Instrumente gekauft, mit welchen alsbald nach ihrem Eintritte auf die unbefangendste Weise gegen den „Tannhäuser“ manövriert wurde. Bis dahin, nämlich während des ersten und bis gegen die Mitte des zweiten Aktes, hatte nicht eine Spur von Opposition sich mehr bemerklich gemacht, und der anhaltendste Applaus hatte ungestört die am schnellsten beliebt gewordenen Stellen meiner Oper begleitet. Von nun an half aber keine Beifallsdemonstration mehr: vergebens demonstrierte selbst der Kaiser mit seiner Gemahlin zum zweiten Male zu Gunsten meines Werkes; von Denjenigen, die sich als Meister des Saales betrachten und sämtlich zur höchsten Aristokratie Frankreichs gehören, war die unwiderrufliche Verurteilung des „Tannhäuser“ ausgesprochen. Bis an den Schluss begleiteten Pfeifen undb Flageolets jeden Applaus des Publikums.

Bei der gänzlichen Ohnmacht der Direktion gegen diesen mächtigen Club, bei der offenbaren Scheu selbst des Staatsministers, mit den Gliedern dieses Clubs sich ernstlich zu verfeinden, erkannte ich, dass ich den mir so treu sich bewährenden Künstlern der Szene nicht zumuten dürfe, sich länger und wiederholt den abscheulichen Aufregungen, denen man sie gewissenlos preisgab (natürlich in der Absicht, sie gänzlich zum Abtreten zu zwingen), auszusetzen. Ich erklärte der Direktion, meine Oper zurückzuziehen, und willigte in eine dritte Aufführung nur unter der Bedingung, dass Sie an einem Sonntage, also außer Abonnement, somit unter Umständen, welche die Abonnenten nicht reizen, und dagegen dem eigentlichen Publikum den Saal vollständig einräumen sollten, stattfinde. Mein Wunsch, diese Vorstellung auch auf der Affiche als „letzte“ zu bezeichnen, ward nicht für zulässig gehalten, und mir blieb nur übrig, meinen Bekannten persönlich sie als solche anzukündigen. Diese Vorsichtsmaßregeln hatten aber die Besorgnis des Jockeyclubs nicht zu zerstören vermocht; vielmehr glaubte derselbe in dieser Sonntagsaufführung eine kühne und für seine Interessen gefährliche Demonstration erkennen zum müssen, nach welcher, die Oper einmal mit unbestrittenem Erfolge zur Aufnahme gebracht, das verhaßte Werk ihnen leicht mit Gewalt aufgedrunken werden dürfte. An die Aufrichtigkeit meiner Versicherung, gerade im Falle eines solchen Erfolges den „Tannhäuser“ desto gewisser zurückziehen zu wollen, hatte man nicht zu glauben den Mut gehabt. Somit entsagten die Herren ihren anderweitigen Vergnügungen für diesen Abend, kehrten abermals mit vollster Rüstung in die Oper zurück, und erneuerten die Szenen des zweiten Abends. Diesmal stieg die Erbitterung das Publikums, welches durchaus verhindert werden sollte der Aufführung zu folgen, auf einen, wie man mir versicherte, bis dahin unbekannten Grad, und es gehörte wohl nur die, wie es scheint, unantastbare soziale Stellung der Herren Ruhestörer dazu, sie vor tätlicher übler Behandlung zu sichern. Sage ich es kurz, dass ich, wie ich erstaunt über die zügellose Haltung jener Herren, ebenso ergriffen und gerührt von den heroischen Anstrengungen des eigentlichen Publikums, mir Gerechtigkeit zu verschaffen, bin, und nichts weniger mir in den Sinn kommen kann, als an dem Pariser Publikum, sobald es sich auf einem ihm angehörigen neutralen Terrain befindet, im Mindesten zu zweifeln.

Meine nun offiziell angekündigte Zurückziehung meiner Partitur hat die Direktion der Oper in wirkliche und große Verlegenheit gesetzt. Sie bekennt laut und offen, in dem Falle meiner Oper einen der größten Erfolge zu ersehen, denn sie kann sich nicht entsinnen, jemals das Publikum mit so großer Lebhaftigkeit für ein angefochtenes Werk Partei ergreifen gesehen zu haben. Die reichlichsten Geldeinnahmen erscheinen ihr mit dem „Tannhäuser“ gesichert, für dessen Aufführungen bereits der Saal im Voraus wiederholt verkauft ist. Ihr wird von wachsender Erbitterung des Publikum berichtet, welches sein Interesse, ein neues vielbesprochenes Werk ruhig hören und würdigen zu können, von einer der Zahl nach ungemein kleinen Partei verwehrt sieht. Ich erfahre, dass der Kaiser der Sache durchaus geneigt bleiben soll, dass die Kaiserin sich gern zur Beschützerin meiner Oper aufwerfen und Garantieen gegen fernere Ruhestörungen verlangen wolle. In diesem Augenblicke zirkuliert unter den Musikern, Malern, Künstlern und Schriftstellern von Paris eine an den Staatsminister gerichtete Protestation wegen der unwürdigen Vorfälle im Opernhause, die, wie man mir sagt, zahlreich unterzeichnet wird. Unter solchen Umständen sollte mir leicht Mut dazu gemacht werden können, meine Oper wieder aufzunehmen. Eine wichtige künstlerische Rücksicht hält mich aber davon ab. Bisher ist es noch zu keinem ruhigen und gesammelten Anhören meine Werkes gekommen; der eigentliche Charakter desselben, welcher in einer meiner Absicht entsprechenden Nötigung zu einer, dem gewöhnlichen Operpublikum fremden, das Ganze erfassenden Stimmung liegt, ist den Zuhörern noch nicht aufgegangen, wogegen diese bis jetzt sich nur an glänzende und leicht ansprechende äußere Momente, wie sie mir eigentlich nur als Staffage dienen, halten, diese bemerken, und, wie sie es getan, mit lebhafter Sympathie aufnehmen konnten. Könnte und sollte es nun zum ruhigen, andächtigen Anhören meiner Oper kommen, so befürchte ich nach Dem, was ich Ihnen zuvor über den Charakter der hiesigen Aufführung andeutete, die innere Schwäche und Schwunglosigkeit dieser Aufführung, die allen Denen, die das Werk genauer kennen, kein Geheimnis geblieben und für deren Hebung persönlich zu intervenieren mir verwehrt worden ist, müsse allmählich offen an den Tag treten, so dass ich einen gründlichen, nicht bloß äußerlichen Erfolge meiner Oper für diesmal nicht entgegenzusehen glauben könnte. Möge somit jetzt alles Ungenügende dieser Aufführung unter dem Staube jener drei Schlachtabende gnädig verdeckt bleiben, und möge Mancher, der meine auf ihn gesetzten Hoffnungen schmerzlich täuschte, für diesmal mit dem Glauben sich retten, er sei für eine gute Sache und um dieser Sache willen gefallen!

Somit möge für diesmal der Pariser „Tannhäuser“ ausgespielt haben. Sollte der Wunsch ernster Freunde meiner Kunst in Erfüllung gehen, sollte ein Projekt, mit welchem man sich soeben von sehr sachverständiger Seite her ernstlich trägt, und welches auf nichts Geringeres als auf schleunigste Gründung eines neuen Operntheaters zur Verwirklichung der von mir auch hier angeregten Reformen ausgeht, ausgeführt werden, so hören Sie vielleicht selbst von Paris aus noch einmal auch vom „Tannhäuser“.

Was sich bis heute in Bezug auf mein Werk in Paris zugetragen, seien Sie versichert, hiermit der vollständigsten Wahrheit gemäß erfahren zu haben: sei Ihnen einfach dafür Bürge, dass es mir unmöglich ist, mich mit einem Anscheine zu befriedigen, wenn mein innerster Wunsch dabei unerfüllt geblieben, und dieser ist nur durch das Bewusstsein zu stillen, einen wirklich verständnisvollen Eindruck hervorgerufen zu haben.